Die Stimme
und die vom höchsten Punkt des Daches schräg abfallende Decke dräute nur wenige Zentimeter gefährlich über Bruder Gregorys Kopf. Schlichte, weiß getünchte Wände nur mit einem Kruzifix, eine geflochtene Strohmatte auf dem Fußboden, ein kleiner Schreibtisch, ein kalter Feuerrost in der Ecke und ein winziges Fenster mit einem durchlässigen Laden – es gibt in London schlimmere Zimmer, dachte sie, und in manchen wohnen ganze Familien. Dennoch war klar, daß er nicht in dem legendären Luxus der genußfreudigen Geistlichkeit lebte, die sie kannte.
»Bruder Gregory«, keuchte sie (denn die Stiege war steil), »Margaret hat mich geschickt, Euch vor einer schrecklichen Verschwörung gegen Euch zu warnen.« Bruder Gregorys nickte zur Begrüßung, doch seine Miene sah statt streng eher überrascht aus.
»Eine Verschwörung?« fragte er mit hochgezogenen Brauen. »Von wem denn?«
»Von den Söhnen Roger Kendalls, die einen Groll gegen Euch hegen. Sie haben Eure Nachricht abgefangen und wollen Euch überfallen, wenn Ihr zur verabredeten Zeit kommt. Sie sagt, sie wollen mit Euch verfahren ›wie mit Abaelard‹, was auch immer das heißen soll.«
»Wie um Himmels willen kann Master Kendall dergleichen zulassen? Oder macht er etwa mit?« fragte der nun doch etwas beunruhigte Bruder Gregory.
»Wißt Ihr denn nicht? Master Kendall ist doch schon seit vierzehn Tagen tot.« Bruder Gregory war entgeistert.
»Das ist ja furchtbar«, dachte er. »Auch wenn er viel von einem Freidenker hatte, so war er doch ein guter, alter Kerl – besser als so manch anderer alter Mann, den ich kenne –, ich werde für ihn beten müssen.«
Mutter Hilde fuhr nun fort, erklärte ihm, wie sie das Haus überrumpelt hatten und nun Margaret und ihre Töchter als Köder gefangenhielten, um ihn zurückzulocken.
»Warum bloß um Himmels willen?« fragte Bruder Gregory.
»Sie glauben, Ihr habt ein Exemplar von einem Testament, das mehr zu ihren Gunsten ist. Jemand hat ihnen erzählt, daß Margaret Euch Papiere gegeben hat, und nun glauben sie, daß es ein verstecktes Testament gibt und daß Ihr das vorliegende gefälscht habt.«
Bruder Gregory war tief bestürzt. Zunächst einmal war seine meditative Stimmung dahin, und ihm war klar, daß es ein Weilchen dauern würde, bis er wieder zu der richtigen Versenkung gefunden hatte. Zum zweiten gefiel ihm der Gedanke nicht, daß Margaret von derart widerwärtigen Charakteren unsanft behandelt wurde. Drittens gilt es als schlimme Beleidigung, wenn niedrig Geborene den Sohn einer alten Familie – selbst wenn es bloß ein zweiter Sohn ist – mit solch einem abscheulichen Überfall bedrohen. Und schließlich das Schlimmste überhaupt: es blieb ihm nur eines zu tun, und das war das Letzte auf der Welt, was Bruder Gregory vorhatte. Sein Gesicht wurde grimmig, die Muskeln an seinem Kiefer zuckten. Dann rannte er wild im Zimmer auf und ab, überlegte bei sich, ballte die rechte Hand und schlug sich mit der Faust in die linke. Am Ende stand er jäh still und sagte mit einem abgrundtiefen Seufzer:
»Ich muß zu Vater.«
»Vater? Wer ist das?« fragte Hilde.
»Vater. Mein Vater«, sagte Bruder Gregory, »und das fällt mir nicht leicht. Er hat mir schon einmal eins über den Kopf gezogen. Beim nächsten Mal bin ich vielleicht taub.«
»Du lieber Himmel, ja, das ist aber ein tüchtiger blauer Fleck«, pflichtete ihm Mutter Hilde bei.
»Wir haben drei Tage«, sagte Bruder Gregory. »Die Zeit dürfte reichen, wenn ich beim Hin- und Rückweg nicht zu Fuß gehe. Hat Bruder Malachi immer noch sein Maultier?«
»Woher wißt Ihr von Bruder Malachi?« Mutter Hilde stellte alle Stacheln auf.
»Ich weiß eine Menge – mehr als mir guttut«, erwiderte Bruder Gregory verdrießlich.
»Dann dürftet Ihr auch wissen, daß das Maultier alt und langsam ist«, sagte Mutter Hilde und warf ihm einen scharfen Blick zu. Bruder Gregory ließ sich das durch den Kopf gehen. Niedergeschlagen betrachtete er seine Hände.
»Dann werde ich ein anständiges Pferd mieten müssen. Ihr habt nicht zufällig Geld dabei, wie?«
»Nicht hier«, sagte Mutter Hilde, »aber wenn Ihr mich zurückbegleitet, sollt Ihr es haben.«
Bruder Gregory nahm sein kleines Bündel und packte sein Kruzifix dazu, dann folgte er Hilde aus dem Haus. Lion sprang ihm fröhlich um die Füße.
»Ich finde immer noch, es schickt sich nicht für einen Hund, vorn und hinten gleich auszusehen«, murrte Bruder Gregory, als sie zusammen die Stiege
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