Die Stimme
draußen. Vor der Tür stand ein Junge, ein frecher, kleiner Junge mit Sommersprossen, und verkündete, er hätte eine Nachricht für Mistress Margaret Kendall und streckte dabei die Hand nach einem Trinkgeld aus.
»Gib sie mir«, sagte der Mordbube.
»Und mein Trinkgeld, Master?« forderte der Junge.
»Hau ab!« brüllte der Bandit und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Dann rief er in schrillem, falschen Falsett nach oben:
»Nachricht für Mistress Margaret!«
Lionel las die Botschaft mit einem wölfischen Lächeln.
»Sie hat nicht gelogen, Bruder«, verkündete er. »Das hier ist von ihrem Liebhaber – er sagt, daß er in drei Tagen kommt, um ›ihre Rechtschreibung nachzusehen‹. Hach! Kann mir schon denken, wie er die nachsieht, weiß Gott. Tüpfelt alle ›i's‹ mit seinem Schwanz, wetten das?« Alle im Zimmer lachten schallend, und Margaret lief vor Scham hochrot an.
»Gut, die drei Tage warten wir, Bruder«, sagte Thomas.
»Ei, sperren wir sie doch bis dahin im Keller ein, und dem lüsternen Klosterbruder bereiten wir einen kleinen, unverhofften Empfang«, erwiderte Lionel. »Der will nämlich gewiß den Mund auch nicht aufmachen. Hat zweifellos vor, sich die Beute irgendwo in einem kleinen Liebesnest mit ihr zu teilen. Und der ist viel zäher und gerissener als die da.«
»Das muß man ihm lassen, ein gewagter Plan. Darauf wäre eine Frau nie im Leben gekommen.« Thomas wußte Menschen zu würdigen, die gerissener waren als er, obwohl diese Art von Würdigung keinem nutzte. Nachdem er also Bruder Gregory als Bösewicht gewürdigt hatte, drehte er sich um und würdigte die Bosheit seines älteren Bruders, denn der hatte sich entschieden etwas umwerfend Böses ausgedacht. Lionel ließ sich die Sache durch den Kopf gehen, dann sagte er zu seinem Bruder und dem aufmerksamen Publikum gedungener Banditen:
»Ei, schlagen wir doch zwei Fliegen mit einer Klappe. So kriegen wir unseren Spaß und unsere Rache. Jemand muß diesen schmierigen Schreiberlingen eine Lehre erteilen. Wenn wir an diesem da ein Exempel statuieren, so könnte das später andere abschrecken. Wir werden diesem gerissenen Klosterbruder einen grandiosen Empfang bereiten! Ihn aufhängen wie Abaelard und ihn vor Margarets Augen entmannen. Dann prügeln wir die Wahrheit aus ihm heraus.« Die Unholde nickten und knurrten beifällig. »Und jetzt, liebe Stiefmutter, wollen wir dich in den Keller geleiten.«
Margaret war übel vor Angst, als man sie allein in einen ihrer eigenen Vorratsräume einsperrte. Die ganze Nacht über grämte sie sich, schlief nur sporadisch im Sitzen an ein Faß gelehnt. Sie sorgte sich um ihre Kinder und weinte um sie; ach, wie sie ihren Mann vermißte! Vor allem aber setzte ihr zu, daß sie in ihrer Not, ihre Kinder und ihr Buch zu retten, einen unschuldigen Menschen an seine Mörder ausgeliefert hatte. Sie war so außer sich vor Gram, daß sie mit keinem Gedanken daran dachte, was für ein Glück es doch war, daß es im Vorratsraum keine Ratten gab.
Margaret wäre es vielleicht etwas besser gegangen, wenn sie gewußt hätte, daß man Lion aus dem Haus geworfen hatte. Er machte genau das, was er sonst auch machte, wenn man ihn nach draußen ließ. Er lief schnurstracks zu Mutter Hilde.
Als Mutter Hilde in den frühen Morgenstunden von einer langwierigen Entbindung zurückkehrte, fand sie zu ihrer Überraschung Lion wie ein Lumpenbündel elend auf ihrer Schwelle liegen.
»Ei, was heißt denn das, Lion? Du blutest ja! Stimmt etwas nicht?«
Lion jaulte und schniefte und versuchte, sie zu Margarets Haus zu ziehen. Hilde folgte ihm die Straßen entlang. Scharfsinnig wie sie war, klopfte sie nicht an der Haustür, sondern lauschte an einem Fenster. Sie sah Licht, lange nachdem der Haushalt üblicherweise im Bett lag, Licht, das durch die Läden der Küche drang. Sie vernahm unbekannte Stimmen und den rauhen Lärm eines Zechgelages. Lion zupfte an ihrem Kleid, jaulte und führte sie ums Haus herum zu einem der fest vergitterten Schächte, die in den Keller gingen. Er grub an dem Schacht und jaulte. Das Gejaule weckte Margaret auf, die ohnedies nicht richtig geschlafen hatte, und sie rief leise:
»Wer ist da? Bist du's Lion?« Wie freute sie sich, als sie Mutter Hilde im Flüsterton antworten hörte.
»Margaret? Was um alles tust du um diese Zeit im Keller?« Und dann kauerte sich Mutter Hilde im kalten Licht der Sterne, die gerade vor Sonnenaufgang am hellsten funkeln, in den Schnee und ließ sich von Margaret
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