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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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beispielsweise. Sie selber haben keine, und so wissen sie diese auch nicht an anderen zu schätzen. Die Sorte verschlagene, selbstsüchtige Frau, die sich nicht einmal dafür schämt, daß sie am Sündenfall des Mannes schuld ist. Eva führte Adam in Versuchung, und mit einem Apfel fing alles an, und diese entsetzliche Frau bediente sich einer Fleischpastete aus einer Garküche, doch wo war da der Unterschied? Und nun suhlte er sich in dem abscheulichen Leben einer Art Frau, die er nicht einmal auf der Straße ansprechen würde, es sei denn, er brauchte einen Schluck Wasser oder eine Wegbeschreibung zum nächsten Dorf. Der Heilige Johannes Chrysostomus hatte recht gehabt, als er die Frau eine offene Jauchegrube nannte, wobei das noch zu den netteren Dingen gehörte, die er gesagt hatte. Ich hätte auf ihn hören sollen, knurrte Bruder Gregory bei sich, das Ganze habe ich nur mir selbst zuzuschreiben.
    Das Schlimmste daran war, daß diese widernatürlichen Geschöpfe alles von rückwärts her erklärten. Das war genauso – ja, beinahe genauso, als ob er sich vertraglich verpflichtet hätte, die Lebensgeschichte eines Lieblingspferdes niederzuschreiben.
    »Also, Bayard«, würde er dann wohl sagen, »wo möchtest du beginnen?«
    »Bei meiner Futterkrippe«, wäre die Antwort. Und schon würde er mit der Aufzählung erbärmlicher, kleiner Ereignisse beginnen. Und würde irgendeine wohlmeinende Korrektur auch nur die kleinste Wirkung haben? Gewiß nicht! Um Höheres erfassen zu können, muß man schon ein denkendes Wesen sein. Futterkrippen, Tratsch und Klatsch und Kinderkriegen. Als wenn ihn nicht alle Großen Meister gewarnt hätten! Oder wollte ihm Gott etwa eine Lehre erteilen? Welche wohl? Demut? Gewiß hatte er davon letztens mehr als genug zu spüren gekriegt: deren dürfte Gott wohl mittlerweile überdrüssig sein. Vielleicht hatte die Geschichte ja eine Moral. In dem Fall hieße das, den Willen Gottes mißachten, wenn er sie nicht bis zu Ende anhörte. Oder führte ihn schon wieder seine Neugier in Versuchung? Ich werde Buße tun und ihr dann Nachricht geben, daß ich nicht mehr komme, beschloß er.
    Doch dann mußte er sich eingestehen, wie gut es mit seinen Meditationen lief, seitdem er diesen ständig wiederkehrenden Alptraum von Geflügel auf einem Bratenspieß, das so gerade außer Reichweite brutzelte, nicht mehr hatte. Ja, erst gestern abend noch hatte er bei der Kontemplation der Dornenkrone ganz knapp einen echten ekstatischen Augenblick verpaßt. Vielleicht sollte er Margaret nicht zu abrupt aufkündigen. Sie könnte hysterisch werden, und das wäre unklug. Ganz kurz hatte er eine Vision von hysterischen Frauen, Hunderte hysterischer Frauen mit roten und verzerrten Gesichtern und offenen, kreischenden Mündern. Es schauderte ihn. Dann musterte er Margarets Gesicht. Es sah nicht hysterisch aus – noch nicht. Vielleicht kam er ja mit allem zurecht. Mit einer jähen Bewegung stapelte er die Seiten aufeinander und sagte Margaret Lebewohl.

Kapitel 3
    B ruder Gregory saß in einer Ecke von Master Kendalls großer Diele und war innerlich am Kochen. An diesem Morgen war eine neue Schiffsladung mit Gütern aus Asien eingetroffen, und der Haushalt war in Aufruhr: Gesellen und Schreiber eilten mit geheimnisvollen Besorgungen hin und her, aus Küche und Ställen drang Stimmengewirr, und sogar Master Kendalls Stimme war durch die geöffnete Tür seines Kontors zu hören; er bat darum, eine Bahn Seide zurückzulegen, damit sie die Gemahlin des Bürgermeisters prüfen könne. Margaret ließ sich nirgendwo blicken.
    »Wahrscheinlich hat sie mich vergessen – oder aufgesteckt, ohne sich die Mühe zu machen, mich zu benachrichtigen. So geht das eben mit dieser Sorte Mensch.« Bruder Gregory war sehr grämlich zumute. Er hatte noch nicht gefrühstückt, was den meisten Menschen nichts ausmacht, da man um elf Uhr die Hauptmahlzeit einnimmt. Doch ihn stimmte das den ganzen Morgen mißmutig. Er wurde noch mißmutiger, als er ein Gespräch mit anhörte, das aus der Küche herausdrang:
    »Die Mistress treibt aber auch immer spaßige Kerle auf, was? Wißt ihr noch, der mit dem schwarzen Gewand, der umherspazierte und alles segnete?«
    »Und dann diese Ausländer mit einem Lappen um den Kopf und dem kleinen schwarzen Jungen, der ihnen immer hinterherlief? Die hatte der Master aufgetrieben.«
    »Die beiden sind vom gleichen Stamm. Aber der jetzige ist ja wohl der Griesgrämigste, den wir bislang hatten – wenn ihr mich

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