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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Gottes.
    »Aber – aber könnte ich statt zu heiraten nicht Nonne werden?« wagte ich schüchtern zu fragen. Außer sich fuhr Hochwürden Ambrose hoch und schrie auf mich herab, wie ich da kniete:
    »Du? Eine Braut Christi? Meines Wissens hast du keinerlei Berufung – Mistress Leichtfuß die Tänzerin, Mistress Frohmut die Sängerin, Mistress Nachtschwärmer die Küsserin! Wehe, du lästerst mir die heiligen Schwestern! Bitte Jesus, daß er dich stärkt und dich dankbar macht für die Ehe mit einem so vortrefflichen Mann wie Lewis Small!«
    »Ein vortrefflicher Mann?« Ich blickte zu ihm hoch.
    »Jawohl, vortrefflich! Bei weitem vortrefflicher als irgend jemand aus deiner eigenen Familie. Zwar nicht vornehm von Geburt, doch vornehm von Gesinnung, vornehm von Tat und vornehm in seiner Liebe zur Mutter Kirche. Er hat bereits soviel gespendet, daß ich das Dach reparieren lassen kann. Und für den Tag Eures Hochzeitsgelübdes hat er versprochen, ein Fenster fürs Kirchenschiff zu spenden. Willst du es in deinem Eigennutz etwa soweit treiben, daß du dieser heiligen Stätte kein Buntglasfenster gönnst? Bereue, bereue jetzt, dann sei dir vergeben, und heirate in aller Sittsamkeit und Demut, wie es sich für ein Mägdelein frommt!«
    Wie ich jene Buße haßte! Warum tut uns Gott dergleichen an? Damals ging mir auf, es könnte daran liegen, daß Gott ein Mann ist, oder besser, daß Männer und Gott ähnlich denken. Denn wenn Gott eine Frau wäre, würde alles ganz anders zugehen, so wollte mir scheinen. Gewißlich würde Sie kein Mädchen zur Ehe zwingen, wenn es nicht heiraten wollte. Die Frauen würden die Wahl haben, und die Männer würden warten müssen, daß man sie erwählte und in aller Sittsamkeit und Demut gehorchen. Es ginge ganz, ganz anders zu auf der Welt, wenn Frauen die Wahl hätten. Doch so ist es nun einmal nicht, und darum wurden wir vor dem Kirchenportal von einem Hochwürden Ambrose getraut, der nichts anderes mehr im Kopf hatte als sein neues Kirchenfenster.
    Da Mutter das Braugeschäft betrieb, war das Brautbier noch üppiger als bei der Hochzeit der einzigen Tochter des Heuaufsehers von St. Matthew's. Aber ehe noch Speisen und Getränke zur Hälfte verzehrt waren, rief mein Mann seine Leute zusammen, führte mich zu einem farbenprächtig herausgeputzten Maultier und half mir mit einer schwungvollen Geste beim Aufsteigen.
    »Ah!« riefen die Frauen aus, denn sie fanden, Master Small sähe genauso aus wie der Held einer romantischen Ballade, als er mich in den Sattel hob. Richard Dale jedoch, der jetzt alle Hoffnung auf die einst von ihm begehrte Mitgift fahren lassen mußte, sah wortlos und mit geisterblassem Gesicht zu. Fast tat mir mein früherer Freier leid. Als der Troß der Maultiere den Kirchhof verlassen wollte, drehte ich mich um, warf einen letzten Blick zurück und sah, wie die Männer Richard Dale ein Bier aufdrängten, und dann ein weiteres. Gewiß war er bereits stockbetrunken, wenn die letzten Gäste sich auf den Weg zu unserem Haus machten.
    Eine lange Reise bietet Gelegenheit zum Nachdenken. Ich hätte voller Vorfreude sein, hätte von meinem neuen Heim und der prächtigen Stellung träumen sollen, zu der ich aufgestiegen war, nur weil ein wohlhabender Fremder zufällig meiner ansichtig geworden war. Statt dessen überlegte ich wieder und wieder, warum ausgerechnet ich? Gewiß, für ein Mädchen vom Dorf hatte ich eine gute Mitgift, doch was war die schon für einen Mann, der ein Kirchenfenster kaufen konnte? Verschuldet dürfte er mithin nicht sein. Verrückt vor Liebe sollte er sein, hingerissen von meiner Schönheit. Aber wenn er von meinem brennenden Blick sprach, konnte ich mich wirklich an nichts dergleichen erinnern. Sehr liebeskrank wirkte er jedenfalls nicht auf mich. Ob Männer von Welt das besser zu verbergen wissen? Und warum war er auf seiner Brautschau so weit gereist, wo doch die Städte nur so von schönen, rot und golden gekleideten Frauen wimmeln sollten? Ach, es war mir einfach schleierhaft. Außerdem hatte er etwas an sich, wovon ich eine Gänsehaut bekam. Mir wurde immer bedrückter zumute. Vor mir, auf dem schmalen, staubigen Pfad ritt mein Bräutigam mit seinen Freunden und vertrieb sich die Zeit mit Liedern über die Unbeständigkeit der Frauen. Hinter mir ritten schweigend seine bewaffneten Gefolgsleute. Jetzt weiß ich, wie sich ein Warenballen beim Transport vorkommt, dachte ich.
    Auf einmal stob aus einem Gerstefeld neben uns ein Schwarm Amseln auf. Warum

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