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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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zur Verdeutlichung trat er erneut zu. Targa, der das Gefühl hatte, ebenfalls seinen Beitrag leisten zu müssen, und dem bewußt war, daß er nicht mit theoretischen Betrachtungen glänzen konnte, trat dem Bauern so fest in die Rippen, daß dieser der Länge nach hinfiel.
    »Bringt ihn nicht um, er muß noch reden«, sagte einer aus der Runde, der pragmatischer dachte. In diesem Augenblick fiel der Bauer vor meine Füße, meine Tochter, und der bestialische Gestank seiner Angst schlug mir entgegen.
    »Ich will nicht sterben«, sagte er. Aber die anderen unterhielten sich darüber, daß das Schmerzexperiment wissenschaftlich vonstatten gehen müsse.
    »Ich kenne mich da aus: Mein Schwager hatte an der Rhone mit der Waffen-SS zu tun, und der hat davon gehört.«
    »Dein Schwager?«
    »Ja, der aus Saragossa, der Leutnant.«
    »Hast du schon mal eine SS-Uniform gesehen?«
    »Einsame Klasse.«
    »Ja.«
    »Aber er sagt, es muß ein Arzt dabeisein, der einem erklärt, wie’s geht, dann kann man wirklich eine Menge lernen.«
    Und ich schwieg, meine Tochter. Der Märtyrer lag zu meinen Füßen, und ich schwieg aus Angst, der Mann könne etwas gestehen, was keiner wissen durfte, nicht einmal er, aus Angst, er könne ihnen sagen, wer Eliot sei und daß der Lehrer von Torena ein Spitzel war, der Informationen an den Maquis weitergab, Leute in der Schule versteckte und dort sogar ein Funkgerät hatte, oder auch nur, sie haben mir befohlen, nach Torena hinüberzublinken, unterhalb des Montsent.
    »Wir können es ja mit ihm mal ausprobieren.«
    »Wir haben aber keinen Arzt dabei.«
    »Scheiß drauf.« Er wandte sich an die anderen: »Wollt ihr es ausprobieren?«
    Während sie noch debattierten, wer als erster ausprobieren dürfe, wie viele Schmerzen ein Bauer aus Montardit vertrug, beugte sich Oriol über den Verletzten, der etwas zu sagen versuchte. Ungeachtet des Gestanks, den er verströmte, ging Oriol mit dem Ohr ganz dicht an ihn heran, und der Mann sagte panisch: »Bringt mich nicht um, ich habe nur den Leuten von Torena geblinkt, sag, daß der Lehrer …«
    »Was sagt er?« fragte Valentí mißtrauisch.
    »Wir sollen ihn töten, damit er nicht länger leiden muß.«
    Ein wissenschaftlicher Tritt von Claudio Asín traf ihn in die Milz, daß er mit offenem Mund liegenblieb, wie überrascht, aber atemlos.
    »Achtung, der kratzt uns ab.«
    »Ja«, sagte einer der Ärzte enttäuscht, »sieht fast so aus, als wollte uns dieser Schuft das Experiment vermasseln.«
    Für alle Fälle zertrat ihm ein anderer Doktor mit dem Stiefelabsatz das Nasenbein. Der Bauer wurde grau wie der sich allmählich verdunkelnde Himmel.
    »Seht mal«, mischte sich ein anderer Spezialist ein, »die Rippen, die doch eigentlich wichtige Teile des Körpers schützen sollten, brechen sofort.« Zum Beweis trat er den Bauern in die Rippen. Dieser klagte kaum, weil er keine Luft bekam, und ich, meine Tochter, sah ihn an und hätte ihm am liebsten das Messer in die Brust gerammt, um ihn von seinem Leiden zu erlösen, wie sie es hier in den Tälern mit den Hunden und Maultieren tun. »Das Schienbein hingegen«, fuhr der Spezialist fort und trat gegen das rechte Bein, »hält alles aus.«
    »Ja, das ist interessant. Und du, Kamerad Fontelles, willst du es nicht auch einmal probieren?«
    Zögerlich trat ich den armen Mann ans Bein. Ich muß wohl sein Knie erwischt haben, denn er stöhnte dumpf vor Schmerz, und auch meine Seele stöhnte.
    Im Haus bewegte sich ohnmächtig ein zitterndes Licht, und Senyor Valentí sah sich um, als wäre es ihm unangenehm, schon wieder bei Dingen erwischt zu werden, die ihm Ärger und Schelte von den tintenfischfressenden Faustinos Ramallos Pezones einbringen konnten, die hinter ihrem Schreibtisch saßen und keine Ahnung vom wirklichen Leben hatten, aber nun mal Obersten waren und die heldenhaften Kameraden der Falange mit einem gewissen theoretischen Mißtrauen betrachteten, vor allem, wenn diese Arzt spielten. Wenn alle Militärs wie Sagardía wären, würden wir Falangisten glänzend dastehen.
    »Nehmt ihn mit nach Sort«, entschied er schließlich.
    »Nicht nötig«, erwiderte ein Amtsschreiber aus Gerri mit der Sachlichkeit des Pathologen. »Er atmet nicht mehr.«
    Oriol kniete nieder und suchte den Puls. Er fand ihn nicht, auch keinen Herzschlag und kein Leben.
    »Er ist tot«, bestätigte er. Und das Schrecklichste von allem, meine Tochter, ist, daß ich über diese Nachricht erleichtert war, weil er mich nun nicht mehr verraten

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