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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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du es nicht vorher getan hast?«
    »Wenn du noch einmal behauptest, daß ich …«
    »Komm mit«, sagte Senyor Valentí zu Oriol. »Vielleicht kannst du das für dein Wandbild gebrauchen.«
    »Welches Wandbild?«
    »Na das, was du im Rathaus malen wirst.«
    Meine Tochter, ich … ich habe gesagt, ich würde Dir alles erzählen, und das werde ich auch tun. Wäre ich nicht mit ihm mitgegangen, dann wäre ich jetzt vielleicht schon tot. Aber seit ich mitgegangen bin, bin ich auch nicht mehr am Leben. Es stellte sich heraus, daß eine Patrouille einige Stunden zuvor einen Mann erwischt hatte, der in der Nacht am Torreta de l’Orri Blinkzeichen gegeben hatte. Seit Tagen waren sie hinter ihm hergewesen, seit Wochen hatten sie gewußt, daß es ihn gab, nicht aber, was genau er tat, immer war er ihnen entschlüpft, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Jetzt hatten sie ihn festgenommen, weil ein erboster Nachbar ihnen einen Tip gegeben hatte und das Motorrad, mit dem er unterwegs war, kaputtgegangen war. Es war ein friedlicher Bauer aus Ribera de Montardit, ein Kollaborateur der Roten, ein Verräter, Republikaner, Päderast, Katalanist, Kommunist, Separatist, Freimaurer, der, wann immer es nötig war, zur vereinbarten Stelle hinauffuhr, dort um Punkt elf Uhr Blinksignale sandte, zwei, drei oder – Gott bewahre – sogar fünf verzweifelte Blinkzeichen, und sich mit dem Gedanken tröstete, daß die Kälte und die Angst, die er ausstand, einem anderen helfen mochten, der ebenso furchtsam war wie er. Seit fünf Monaten war er als Blinker tätig gewesen, und nun hatte Verrat seiner Tätigkeit ein Ende gesetzt.
    Es war ein ganzer Haufen, der sich auf den Weg nach Montardit machte, aufgehetzt vom Dröhnen der Bombe. Der Bandit stand noch immer vor seinem Haus, mit Handschellen an seine Scheune gefesselt, und sie lachten, als einer von Valentí Targas Sekretären, der Lockenkopf, ihm mit dem Stiefel in den Magen trat, bis er Blut kotzte, weil er sich weigerte zu sagen, wer für den Nachrichtenaustausch zwischen den Aufständischen in dieser Gegend verantwortlich war. Sie fragten ihn: »Wo zum Teufel versteckt sich Eliot? Wer ist er? Hörst du? Wo und wer?« Aber der Mann, der sich unter den Tritten zusammengekrümmt hatte, begann, unverständliches Zeug zu brabbeln, weil er an seinem eigenen Blut erstickte,und ich, meine Tochter, hielt den Mund, lächelte, sah von einem zum anderen und hatte nicht den Mut, diese Schlächterei aufzuhalten, hatte nicht die Kraft, dazwischenzugehen. Ich glaube, einmal sah der Bauer mich an, und mir schien, als wisse er, wer ich war, aber er schwieg.
    »Wißt ihr, daß man jemanden mit einem Fußtritt erledigen kann?« fragte ein Großer, Schlanker, den ich noch nie gesehen hatte und von dem ich später erfuhr, daß er der berühmte Claudio Asín war, Targas Lieblingsideologe, seine Quelle, seine Inspiration, sein Verständnis der Welt, des Lebens, des Vaterlands.
    »Das ist ja ganz was Neues.«
    »Doch«, fuhr der Theoretiker fort, »aber man kann auch ausprobieren, wie viele Schmerzen er erträgt und wann seine Widerstandskraft gebrochen ist. Alles ganz wissenschaftlich.«
    »Das könnte für die Armee interessant sein.«
    »Und für die Polizei.« Asín sah sie eindringlich an und wiederholte: »Für die Polizei, Kameraden.«
    »Das stimmt«, bestätigte jemand, der nicht ganz so fix war, vielleicht Targa. »Darauf wäre ich nie gekommen.«
    Der berühmte Claudio Asín nahm zwei Kameraden beiseite und baute sich vor dem schmerzverzerrten Häuflein auf, das von dem Bauern übriggeblieben war. Mit der ernsten Stimme eines Referenten verkündete er: »Die Republikaner (hier trat er den, der ihm als Beispiel diente, kräftig in die Nieren) bereuen nicht, was sie getan haben: Sie sind nur geschlagen.«
    »Es ist ein Irrtum«, warf ich ein, »anzunehmen, daß die Republikaner ihre Verbrechen bereuen könnten.«
    »Ganz recht«, sagte Claudio Asín, das Vorbild, bewundernd. Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Wie heißt du, Kamerad?«
    »Fontelles.«
    »Das ist der Lehrer aus Torena, von dem ich dir erzählt habe«, sagte Targa stolz.
    »Ah, der berühmte Lehrer.« Asín warf einen Blick auf denvor ihm knienden Bauern: »Aus genau diesem Grund ist es unsere heilige Pflicht, sie in diesem Zustand ständiger und vollkommener Niederlage zu halten. Absoluter Terror, entschieden, unnachgiebig, ausgeübt von dem, der im Besitz der Wahrheit ist. Das ist das einzige Mittel gegen die Verblendeten.«
    Wie

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