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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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eine geschäftige Woche, meine Tochter. Ich schlief kaum, führte Menschen auf den alten Schmugglerpfaden, die Leutnant Marcó mir gezeigt hatte, wortkarge Männer, die bereit waren zu sterben; mindestens zehn von ihnen schliefen jede Nacht auf dem Dachboden der Schule, und ich wunderte mich, daß diese Betriebsamkeit Targa und seinen Männern nicht auffiel. Ein paar Tage lang war Valentí zu seiner großen Empörung ohne Handlanger: Dem einen war das Haus abgebrannt, der Vater des anderen war krank, weiß der Teufel, was es war, und der Lockenkopf mußte irgendeine dringende Angelegenheit mit den Ländereien regeln, die ihm überschrieben worden waren. Irgendwie läuft dieser Tage aber auch alles schief. Und so fand Targa immer öfter einen Vorwand, nach Sort hinunterzufahren. Allein, ohne Eskorte, war ihm in Torena unbehaglich zumute.
    Wie ein vielarmiger Krake hielt Eliot die Armee auf Trab. In La Seu ging eine Brücke hoch, eine weitere in Gerri, und die Straße nach Esterri war auf der Höhe der Mündung der Baiasca in die Noguera abgeschnitten, weil Tonnen von Gestein vom Turó de les Bruixes abgesprengt worden waren. Dabei wurde die Landstraße so stark beschädigt, daß sie auch noch siebenundzwanzig Jahre nachdem eine Gruppe Soldaten unter dem Gebrüll nervöser, aufgebrachter Offiziere das Geröll beiseite geräumt hatte, tiefe Schlaglöcher aufwies, die die Federung der schwarzen, leisen Luxuslimousine strapazierten, die am 25. April 1971 abbremste und dann die schmale Straße nach Arestui einschlug. Unverzüglich informierten die Kühe des Baiascatals jedermann über dieAnkunft der Eindringlinge, und in Arestui und Baiasca schloß mehr als ein Einwohner die Fenster.
    »Du hast gesagt, man könne bis zur Kirche vorfahren.«
    »Es tut mir leid, Senyora, ich habe mich wohl im Dorf geirrt. Für mich sieht eins wie das andere aus.«
    Verärgert stieg Senyora Elisenda aus dem Wagen, ließ die Tür offenstehen und machte sich auf den Weg zum Kirchplatz von Baiasca. Sie hat mich keines Blickes gewürdigt, als hätte ich ihr etwas angetan, dabei lebe ich für sie, mit ihr und in ihr, was hast du gegen mich, Geliebte? dachte Jacinto, während er ausstieg, ihre Tür schloß und sich darauf einstellte, zu warten, wie ich es mein Leben lang getan habe, Elisenda.
    Zwei Hunde folgten ihr neugierig, die wenigen Dorfbewohner hingegen zogen es vor, die Besucherin aus ihren Häusern heraus zu beobachten und ihre Schlüsse zu ziehen. Die kommt aus Barcelona, um die Bilder mitzunehmen. Ich habe gehört, sie reißen sie von den Wänden, wie, weiß ich nicht. Sagt dem Pfarrer Bescheid. Sie ist ganz sicher gekommen, um sie zu holen. Das letztemal, als jemand zu Besuch gekommen war, der Bischof von La Seu, hatte er mit einem gewinnenden Lächeln, ein paar sanften Worten und einem von Herzen kommenden Segen die Muttergottes von Serni mitgehen lassen, mitsamt dem Jesuskind, der Weltkugel und den Holzwürmern, die seit Jahrhunderten darin hausten.
    Als die Bilderdiebin die Kirche betrat, hatte sich Hochwürden Dot gerade opferbereit vor dem barocken Altarbild aufgebaut, das die bemalte Apsis verbarg. Noch geblendet von der Tageshelle, brauchte Senyora Elisenda ein paar Sekunden, bis sie die schwarze Gestalt des Pfarrers erkannte, der mit zu allem entschlossener Miene vor dem Altar stand.
    »Guten Tag, Hochwürden.«
    Die kommt ja gar nicht aus Barcelona. Das ist die aus Torena – wie heißt sie noch? – die von Casa Gravat. Die Vilabrú. Sie hat den gleichen Mund wie Hochwürden August, der mit den Zahlen.
    »Guten Tag, Senyora.«
    Ohne ein Wort ging Elisenda Vilabrú zu dem Winkel hinüber, in dem ein kleiner Beichtstuhl stand, fast wie ein Spielzeug, das Holz rissig von all dem Unglück, das er in zweihundert Jahren hatte anhören müssen, und bekreuzigte sich. Hochwürden Dot schluckte. Als aber die Besucherin vor dem Betstuhl stehenblieb, ging er an seinen Platz, nahm die Stola, küßte sie, hängte sie sich um, setzte sich und versank in den Wogen eines betörenden, sündigen Blumendufts. Senyora Elisenda Vilabrú von Casa Gravat in Torena beichtete eine stürmische Affäre, die sie nun endgültig beenden wollte. »Ich will reinen Tisch machen und werde es nie wieder tun.«
    »Bereuen Sie, Senyora?«
    Nein. Ich will nur die Kontrolle über mein Leben behalten.
    »Ja, Hochwürden.«
    »Die Reue ist die Pforte zur Erlösung.«
    Ich kann es mir nicht leisten, einem Lackaffen wie diesem verdammten Quique Esteve ausgeliefert zu

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