Die Stimmen des Flusses
Unterdessen suchte Pere Serrallac sein Werkzeug zusammen, begleitet von seinem Jungen, der mit Feuereifer den Korb trug und den Vater fragte, ob er auch mal die neue Gedenktafel bearbeiten dürfe. Sein Vater nahm die Zigarette aus dem Mund, spuckte einen Tabakkrümel aus und sagte: »Ein andermal, Jaume, jetzt laß uns schleunigst von hier verschwinden.«
»Darf ich den Stein noch einen Augenblick ansehen? Bitte!«
»Jaume …«
»Nur einen Augenblick!«
Serrallac verpaßte seinem Sohn eine Ohrfeige, zog ihn mit finsterer Miene vom Mahnmal fort und sagte,»Hier lang!«, und Jaume dachte, das Leben ist ungerecht, ich wollte doch bloß noch ein bißchen die Steine angucken, die ich gemeißelt habe,Vater ist gemein.
Über Senyor Valentís Schulter hinweg beobachtete Oriol, wie zwei Männer, die ganz ähnlich gekleidet waren wie Pere Serrallac und genau so einen Korb dabeihatten wie er, hinterdem Mahnmal niederknieten, als hätten sie noch eine Kleinigkeit zu erledigen.
»Und wo käme es hin?«
»Was?«
»Das Wandbild.«
»Ach so. In den Sitzungssaal des Rathauses in Sort«, antwortete Oriol aufs Geratewohl.
»Oder in Torena.«
»Ja, oder in Torena.«
Jetzt sind sie fertig, dachte Oriol, als die beiden Männer aufstanden. In diesem Augenblick wandte sich Senyor Valentí ab, obwohl das Thema Wandbild ihn interessierte, weil ihm der Zivilgouverneur zu verstehen gegeben hatte, er sei im Aufbruch, und Oriol blieb allein vor dem Mahnmal stehen. Er hoffte inbrünstig, die Leute würden verschwinden, haut ab, trinkt euren Schnaps anderswo. Es begann zu regnen, der Platz leerte sich nach und nach, und Oriol fühlte sich einsam und lächerlich, er, der Stein, die Erinnerungen und die Bombe. Er sah das Mahnmal an, dann ging er ein paar Schritte zurück. Am liebsten wäre er losgerannt, aber er stieß an das Stativ eines Fotografen, der diesen Nachmittag festhalten sollte und unter seinem schwarzen Tuch die Kamera auf das neu eingeweihte Denkmal gerichtet hatte. Und als der Platz beinahe menschenleer war, ließ ein tiefer, dumpf dröhnender Knall alle erzittern, und das Mahnmal für die Gefallenen zerfiel in fünf Teile. Gerade erst eingeweiht, lag es nun in Schutt. Einer der schlichten, aber kraftvollen Trümmer flog durch die Luft und traf den Fotografen, der gerade noch ein letztes Bild hatte machen können. Alles rannte, schrie in Panik und Wut, raste vor Zorn, verdammter Maquis, den es gar nicht gibt, und Oriol deutete in Richtung Landstraße und Fluß und schrie, »Hier entlang«, und die bewaffneten Männer liefen ihm nach, auf der Suche nach denen, die diesen abscheulichen Anschlag verübt hatten, obwohl Gott mit uns ist. In welche Welt haben wir Dich geboren, meine namenlose Tochter, so viele Menschen hätten zu Schaden kommenkönnen. Der arme Peret von den Moliners, den ein Foto das Leben gekostet hatte, lag noch eine ganze Weile auf dem Pflaster des Platzes und wartete auf Richter, Gerichtsmediziner und seine Kollegen, die Polizeifotografen. Die neunundfünfzig Prozent wurden umgehend mit den Lastwagen nach Hause gebracht, und man schärfte ihnen ein, ganz ruhig, es ist nichts passiert, die üblichen Querulanten, man kennt das ja, und die Ventura unterdrückte ein Lächeln, denn sie war sicher, daß auch ihr Joan heute in Sort gewesen war.
Zwei Stunden später war auf dem Platz wieder Ruhe eingekehrt. Eine Kompanie verstörter Soldaten hielt ihn besetzt, angeführt von einem rotwangigen Hauptmann, der sich lauthals mit Senyor Valentí und den anderen Mitgliedern der Combo beriet. Sie fühlten sich im Stich gelassen, denn der Zivilgouverneur hatte beschlossen, sich zu verdrücken, eine reine Sicherheitsmaßnahme, ich will konkrete Ermittlungsergebnisse, und ich will sie morgen früh auf meinem Schreibtisch haben. Der Bürgermeister von Sort verfluchte Gott und die Welt, mußte das ausgerechnet passieren, als der Gouverneur hier war, ich könnte alle Maquisards dieser Welt in der Luft zerreißen, und er stand allein mit seinem Kummer vor dem bescheidenen, aber großartigen, schlichten, aber kraftvollen Mahnmal, das nun in Trümmern lag.Valentís Männer hatten zunächst Serrallac verhört, der außer sich war – schließlich hatten die Banditen sein größtes Kunstwerk zerstört –, und ließen sich nun von ihm fachmännisch beraten, wer wann wo und wie aus diesem Scheißstein einen verdammten Kanonenschlag hatte machen können. »Die müssen das gemacht haben, als ich schon weg war.«
»Und wer sagt, daß
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