Die Stimmen des Flusses
sein.
»Verstehen Sie, Senyora?«
Ich muß die vollständige Kontrolle behalten.
»Ja, Hochwürden. Deshalb möchte ich laut und vor einem Zeugen wie Ihnen sagen, daß ich es nie wieder tun werde. Nie wieder.«
»Ich beglückwünsche Sie, Senyora.« Sein Tonfall war eine Spur zu einschmeichelnd.
»Danke.«
»Das nenne ich Willensstärke.«
Da die Herrin von Casa Gravat in Torena schwieg, sagte Hochwürden Dot, »ego te absolvo a peccatis tuis im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, und Elisenda bekreuzigte sich als äußeres Zeichen des Paktes, den sie mit sich selbst geschlossen hatte.
»Gehen Sie mit Gott, Senyora.«
»Und die Buße?«
Das überraschte ihn. Welche Buße soll ich verflixt nochmal der Herrin von Casa Gravat auferlegen? Mein Gott. »Zwanzig Avemarias, Senyora.« Die Vilabrú stand auf, und Hochwürden Dot fand zu seiner Verwunderung zwischen seinen Händen einen gefalteten Geldschein. Automatisch faltete er ihn auseinander, sagte, »Donnerwetter, Heilige Mutter Gottes«, und ließ ihn in den Falten der Soutane verschwinden.
Siebenundzwanzig Jahre bevor Senyora Elisenda Vilabrú aus der Kirche Sant Serni von Baiasca trat und blinzelnd zu dem wartenden Wagen hinübersah, jagte einer von Eliots vielen Armen einen Hochspannungsmast in der Nähe von Rialb in die Luft. Die Militärs waren so beschäftigt, daß sie gar nicht dazu kamen, einen Blick in die Berge zu werfen, wo reges Treiben herrschte.
Weißt Du, was los ist, meine Tochter? Es ist schrecklich anstrengend, ein Held zu sein. Ich fürchte mich wie eh und je. Der einzige Unterschied ist, daß ich so müde bin, daß ich einigen Gefahren mit einer gewissen Gleichgültigkeit begegne. Seit Tagen schleusen wir Menschen durch Torena. Und wenn es nur Menschen wären! Vorgestern hat ein Trupp den Gemeindebezirk mit einer zerlegten Kanone durchquert, die vor fünf Jahren bei einer Stellung der Republikaner zurückgelassen worden war. Es ist unglaublich. Heute nacht kamen zehn mit Munition beladene Maulesel hier durch, die sie, wie man mir erzählt hat, der Armee gestohlen haben. Ich weiß nicht, was los ist, aber etwas Gewaltiges ist im Gange. Alle Männer, die ich in der Schule unterbringe, blicken finster, aber entschlossen drein, als hätten sie etwas Wichtiges vor. Aber jeder schweigt eisern. Zum Glück sind die Kinder mit den traurigen Augen nicht da, weil Sommerferien sind. Das läßt mir freie Hand, über meinem Kopf zehn oder zwölf Maquisards schlafen zu lassen, damit sie frische Kräfte sammeln und diese in einer geschäftigen Nacht wieder verausgaben können.Wie gerne würde ich Dir das alles persönlich erzählen … Wie wünsche ich mir, Deine Mutter und Du, ihr würdet mir zuhören. Aber für heute mache ich Schluß, ichbin völlig erschöpft, denn seit drei Tagen schlafe ich nur ein paar Stunden. Seit sieben Monaten führe ich nun Tag und Nacht dieses Doppelleben.Vor acht Monaten haben sie Ventureta umgebracht, Rosa ist vor meiner Feigheit geflohen, und mein Leben hat sich verändert.
33
Obwohl es fünf Uhr morgens war, war es nicht kalt. Bald würde die Sonne aufgehen, doch noch ruhten die Straßen träge in der Dunkelheit. Die Placeta de la Font im Stadtteil Poble-sec war zwar mitten in Barcelona, wirkte aber fast so verlassen wie Torena. Vier schmale Straßen trafen hier aufeinander, und in der Mitte lag der mit Taubenkot übersäte und von kränklichen Platanen gesäumte Platz. Die Stille wurde nur vom Gurren der Tauben durchbrochen, den einzigen Lebewesen, die zu so früher Stunde den Ort bevölkerten. An einer Seite stand ein dunkler Kiosk aus modrigem Holz, in der Mitte der Brunnen, dem der Platz seinen Namen verdankte. Oriol beugte sich unter den Hahn und öffnete ihn. Der Wasserstrahl näßte seine Wange. Das Wasser schmeckte ekelhaft, nun, da er an das Wasser der Gebirgsbäche gewöhnt war. Plötzlich ratterte ein Maschinengewehr los, und Oriol erschrak und duckte sich zitternd hinter den Brunnen. Nach einer Weile lugte er vorsichtig hervor, um zu sehen, was auf der anderen Seite des Platzes vor sich ging. Wer, wie, warum hatten sie ihn entdeckt, ich bin doch in friedlicher Absicht hier, ich bin nur ein Lehrer, den der Maquis aufgehetzt hat, ich wollte mich nie einmischen in … Die Tauben, die erschrocken aufgeflogen waren, blickten von den Bäumen auf den Lärm herab. Hinter dem gußeisernen Brunnen hervor sah Oriol, wie auf der anderen Seite des Platzes der Inhaber der Bar Manel, der gerade die
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