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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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zum Balkon hinüberzusehen, und ihre Blicke kreuzten sich. Die Fistelstimme des Provinzchefs des Movimiento kam allmählich zum Ende der Rede; seine Halsader war von der Anstrengung geschwollen, als er wiederholte, was er schon einmal nach einem Mittagessen anläßlich irgendeines Sieges bei Kaffee, Cognac und Zigarre gesagt hatte: Gott ist mit uns. Und mit dem Wohlbehagen, das ein voller Bauch verleiht, hatte er hinzugefügt: »Und zur Not stecken wir ihm einen Umschlag zu, damit er weiterhin mit uns ist, denn jeder hat seinen Preis, Kameraden.« Heute erwähnte er vor den neunundfünfzig Prozent die göttliche Bestechung lieber nicht; zum Abschluß des Festaktes beschränkte er sich darauf, von der Unordnung in Europa zu sprechen, dem Chaos des Krieges, der uns – dem Caudillo sei Dank! – erspart geblieben ist, und zu wiederholen: »Gott sieht alles, und Gott ist mit uns.« Die Rede endete mit den üblichen Huldigungen, in die die Kapelle einstimmte (das Tenorsaxophon wünschte dem Diktator ein langes Leben, gefolgt von der Klarinette, und das Schlagzeug wünschte dem Vaterland Glück und Segen), eifrig sekundiert von der Gruppe um Minguet aus Rialb und bestätigt von einem zaghaften Gemurmel der neunundfünfzig Prozent.
    Mit einem eleganten Schwung, der an einen Torero in der Arena erinnerte, zog der Zivilgouverneur und Provinzchef des Movimiento das gelb-rote Tuch von dem Mahnmal mit der Gedenktafel. Pere Serrallac musterte es mitfachmännischem Blick und hörte gar nicht zu, als die Combo nun in militärisch zackigem Tonfall die Namen der Märtyrer verlas, die Serrallac in den Stein gemeißelt hatte. Ich weiß nicht … Für meinen Geschmack sitzt die Gedenktafel ein bißchen zu weit oben, und die Buchstaben in der dritten Zeile sind zu gedrängt; na ja, für die kurze Zeit … Da erklangen die Namen von Don Anselmo Vilabrú Bragulat und Don José Vilabrú Ramis, die letzten in der alphabetischen Liste, gefallen für Gott und Vaterland. Senyor Valentí hatte sie mit brüchiger Stimme verlesen, und die Gemeinschaft der Getreuen antwortete donnernd: »Presente!« Als er geendet hatte, sah Senyor Valentí zum Balkon hinauf, und Elisenda erwiderte seinen Blick und nahm, die Hände um das Geländer gekrallt, die private Hommage ihres Goel entgegen.
    Der Festakt endete mit der Hymne Cara al sol , und die Leute blickten einander erleichtert an, denn es hatte Gerüchte gegeben, der Maquis habe vor, das Dorf zu bombardieren, um die Feier zu stören und dem gesamten Orchester und all jenen eine Lektion zu erteilen, die fürchten mußten, sie verdient zu haben. Die meisten der neunundfünfzig Prozent atmeten auf, andere versuchten, sich das Zittern ihrer Knie nicht anmerken zu lassen, und alle gingen auseinander, wenn auch nicht zu weit weg von dem Lastwagen, der sie nach Hause bringen sollte.
    Aus Torena waren etwa zwanzig Leute in dem Lastwagen angekarrt worden, mit dem Pere Serrallac normalerweise seine Marmorblöcke und Dachziegel transportierte. Unterwegs hatten sie nicht miteinander gesprochen, sondern die Landschaft betrachtet; das war einfacher, als jemandem in die Augen zu sehen, der aus dem gleichen Grund schwieg wie man selbst. Senyor Valentí hatte dafür gesorgt, daß auf dem Lastwagen ein Platz für die Ventura freigehalten wurde, denn die konnte aus den Reden in Sort sicher einiges lernen. Und jeder schwieg der Ventura zuliebe, weil alle wußten, daß es keinen schlimmeren Schmerz gibt, als ein Kind zu verlieren, und Oriol starrte die ganze Fahrt über traurig in dieFerne, sah die Ventura nicht an und fragte sie nicht, warum Cèlia und Roseta nicht mehr zum Unterricht kamen, um sich nicht dem Haß auszusetzen, der von Herzen kam und zu Herzen ging.
    Hinter dem soeben eingeweihten Mahnmal für die Gefallenen räumte der Steinmetz Serrallac den Meißel, den er für die letzten Feinarbeiten benutzt hatte, in den Korb; immer gab es irgendeine schlecht ausgemessene Steinkante, die Ärger machte. Hätte er die Ohren gespitzt, so hätte er hören können, wie Senyor Valentí zu Oriol sagte, er lade ihn zu einer kleinen Versammlung ein, »da kannst du Claudio Asín kennenlernen, das wird sicher sehr erhebend«, und Oriol antwortete: »O ja, mit dem größten Vergnügen.« Er nahm Valentí beim Ellbogen und führte ihn vor das Mahnmal. Dort erklärte er ihm, ihm schwebe ein großes Wandbild über die Heldentaten der Eroberer vor, und Senyor Valentí war ganz Ohr, denn er war ja zweifellos einer der Eroberer.

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