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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Gesellschafter der Skistation von Tuca Negra in der Gemeinde von Torena. Sie verhandelten mit einem sensationellen rosafarbenen zarten Kalbsfleischgericht, starrten schweigend vor sich hin und wußte nichts von den Leuten an den Nebentischen.
    Rendé, der Besitzer des Restaurants, saß hinter der Theke an der Kasse, sah auf die Straße hinaus, in belanglose Gedanken vertieft, und wußte nicht, daß in seinem Lokal in Sort die Geschichte Torenas versammelt war. Dann schenkte er einem Mann mit blauen Augen und staubbedeckten Händen und Kleidern einen Kaffee mit Schuß ein. Der Mann hatte seinen mit Dachziegeln und Grabsteinplatten beladenen Lastwagen direkt vor dem Restaurant geparkt. Sie redeten nicht miteinander, Jaume Serrallac und Rendé, denn die Vertrautheit hatte sie verstummen lassen. Der Neuankömmling legte ein Fünf-Peseten-Stück auf die Theke, und während er in der zerdrückten Zigarettenpackung nach einer Celta angelte, warf er einen zerstreuten Blick auf die Gäste. Die beiden Hippies, die bei Fangas wohnten, fielen ihm auf, aber er konnte nicht ahnen, was fast fünfundzwanzig Jahre später geschehen würde. Er trank den Kaffee in einem Zug aus, zündete sich eine Zigarette an und winkte Rendé zum Abschied zu. Er sah nicht mehr zurück. Noch hatte er keinen Grund, es zu tun.
    »Deine Mutter schont sich nicht. Sie sieht von Tag zu Tag schlechter.«
    »Wenn ich ehrlich sein soll, finde ich es viel besorgniserregender, daß sie so fromm geworden ist. Früher war Mamà nicht so.«
    »Sie war immer so. Auf ihre Weise war sie schon immer religiös.« Gasull trank einen Schluck Wein. »Sie tut immer das Richtige. Laß sie nur machen.« Er stellte das Glas ab und sah Marcel an: »Außerdem schadet sie niemandem.«
    »Von wegen, sie schadet niemandem. Sie gibt ein Vermögen für die Pfaffen aus und für diesen Mist mit der Heiligsprechung oder was auch immer das ist von Fontelles. Manchmal denke ich, zwischen den beiden war was, so, wie sie hinter der Sache her ist.«
    »Sag so etwas nie über deine Mutter.«
    »Ich weiß schon, das war nur so dahingesagt. Aber noch dazu gibt sie dem Opus Geld.«
    »Dem Opus Geld zu überweisen ist ein Zeichen von Reife und Klugheit.«
    »Aber wir sind gerade auf dem Weg zu einer laizistischen Gesellschaft! Außerdem war das Opus bis über beide Ohren in den Franquismus verstrickt.«
    »Wie du und ich auch.«
    »Ich war noch sehr jung.«
    »Betrachte die Überweisungen ans Opus als Investition, die sich langfristig auszahlt. Das Opus wird nie die Macht verlieren. Es ist die Macht, es ist ein entscheidender Bestandteil der Macht wie die europäischen Königshäuser oder die Erdölfirmen.Was das angeht, hat deine Mutter ein untrügliches Gespür. Sie hat immer gewußt, wo es zu sein galt, und war da, sie hat immer gewußt, wen man anrufen und wie man mit ihm reden mußte. Sie ist den Normalsterblichen um ein Jahr voraus. Und sie ist mit deinen Auslandsgeschäften zufrieden.«
    »Das könnte sie mir mal sagen, oder?«
    »Du weißt doch, wie sie ist.«
    »Mamà hält sich für was Besonderes.«
    »Elisenda ist etwas Besonderes.« Der verliebte Rechtsanwalt nahm einen Bissen Kalbfleisch und verlor sich in Gedanken an lange zurückliegende, naheliegende Dinge, in die Erinnerung an den wunderbaren Nardenduft, den er so oft gerochen hatte, daß er ihn jetzt häufig gar nicht mehr wahrnahm.
    »Weißt du, worüber ich nachdenke,Tina?«
    »Nein. Über Kinder?»
    »O nein! Vielleicht trete ich bei den Sozialisten ein.«
    »Und die Kommunisten willst du verlassen?«
    »Naja, ich bin noch am Überlegen.«
    »Du mußt ja nicht gleich entscheiden. Überleg’s dir in Ruhe. Sieh es dir von hier aus an.«
    »Und du?«
    »Ich weiß nicht. Ich will lesen.«
    »Wie bitte?«
    »Wie ich gesagt habe: Ich will lesen. Ich bin jetzt zweiundzwanzig, ich bin mit dem Mann, den ich liebe, ins Paradies gezogen, ich bin seit kurzem mit ihm verheiratet, ich habe das Gefühl, ein neues Leben anzufangen, und ich will das bewußt genießen.«
    »Aber das hat doch nichts mit …«
    »Das hat sehr viel damit zu tun«, unterbrach ihn Tina. »In Sort spüre ich zum ersten Mal, wie alles im Leben ineinandergreift, ich höre das Murmeln der Zeit, die durch meine Finger rinnt, im Rhythmus der Sonne und des Mondes. In Barcelona habe ich das nie empfunden.«
    »Du bist eine Dichterin,Tina.«
    »Nein. Ich weiß nicht, was ich bin. Ich würde gerne malen können, das ausdrücken, was ich fühle. In meinem Alter spüre ich

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