Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
Vom Netzwerk:
ist los? Wer ist das?«
    »Wer ist wer?«
    »Die Frau, die gerade etwas gesagt hat.«
    »Ich habe nichts gehört. Vielleicht war es eine Interferenz.«
    Mertxe hängte auf. Sie ließ ihm nicht einmal genug Zeit, an seiner Lüge zu feilen. Auch er legte den Hörer auf die Gabel und dachte, wie kommt es nur, daß ich in letzter Zeit alles versaue? Die Interferenz widmete sich wieder seinem Glied, und da verlor er die Beherrschung und verpaßte ihr eine Ohrfeige, daß ihr vor Überraschung der Mund offenstand.
    »Tu es un con.«
    »Et toi une conne.«
    Die Interferenz stand auf, das Gesicht gerötet vor Wut und von der Ohrfeige, zog sich rasch an und griff nach ihrer Tasche, aber Marcel stellte sich ihr in den Weg.
    »Wenn du mich noch einmal anrührst, rufe ich die Polizei«, sagte sie auf französisch.
    »Wenn du irgend jemanden rufst, breche ich dir alle Knochen. Déshabille-toi. Mach schon!«
    Marcel fühlte sich wild, zu wild. Er schlug sie ein paarmal und gab sich keinerlei Mühe, zärtlich zu sein. Als er fertig war, wußte er, daß das Schwierigste nicht das Meeting am darauffolgenden Tag sein würde, sondern die Rückkehr nach Hause. Er zog den Kopf ein und sann vergeblich über eine Strategie nach, und dann fand er auf dem Wohnzimmertisch eine Nachricht: Bin mit Sergi bei meiner Mutter. Ruf mich nicht an. Ich habe kein Fieber mehr, wahrscheinlich hast du mich krank gemacht.
    Verdammt noch mal, dachte er. Zwölf Jahre Ehe, ein Kind von acht oder zehn, jede Menge Abenteuer ohne Probleme, und nur, weil diese dämliche Tussi sagt, »Hej, paß doch auf«, geht meine Ehe in die Brüche. Das ist hart.
    Die Versöhnung war ein Meisterstück, das Senyora Elisenda höchstpersönlich zuwege brachte. Sie sorgte dafür, daß nicht geredet wurde, daß es zu keinem Skandal kam, daß Mamen Vélez de Tena nichts davon erfuhr, daß Marcels Schwiegermutter (von den Centelles-Anglesolas, die seitens der Anglesolas mit den Cardona-Anglesolas verwandt waren, und den Erills de Sentmenat, denn die Mutter der Mutter ist die Tochter von Eduardo Erill de Sentmenat, der sich drei Jahre vor Mertxes Ehekrise das Leben genommen hatte, wofür – wie man heute wußte – finanzielle Gründe wie Herzensangelegenheiten gleichermaßen verantwortlich gewesen waren) ein gutes Wort einlegte und daß ihre Schwiegertochter und ihr Enkel nach Hause zurückkehrten. Von diesem Augenblick an, im Februar neunzehnhundertzweiundachtzig, hatte Mertxe das Lächeln verlernt; sie bestand auf getrennten Betten und nahm sich vor, weder mit ihrer Schwiegermutter noch mit ihrem Ehemann jemals wieder ein Wort zu wechseln. Marcels Gemüt wurde sauer wie Joghurt, und er gewöhnte sich an, alle Welt für allesverantwortlich zu machen, sogar dafür, daß es zu wenig schneite oder auf den Hochgebirgspisten zu windig war. Und das alles wegen einer falsch verstandenen Interferenz, es ist wirklich nicht zu fassen.
    Als sich das Familienleben wieder beruhigt hatte, zitierte Elisenda Vilabrú ihren Sohn nach Torena und drückte ihm ein Buch mit Anweisungen zur Eheführung in die Hand. Sie hatten ein langes Gespräch, das darin bestand, daß sie ihm Verhaltensmaßregeln erteilte und er nichts entgegnen konnte. Als die Gardinenpredigt beendet war, ging Marcel Vilabrú zum Gegenangriff über. Heiser vor Wut sagte er: »Wo wir schon einmal dabei sind, können wir auch gleich über deinen Fimmel sprechen, diesen Schulmeister zu einem Heiligen zu machen.«
    »Misch dich nicht in Angelegenheiten, die dich nichts angehen.«
    »Du hast dich den ganzen Nachmittag in meine Angelegenheiten gemischt. Außerdem hast du für diesen Heiligen einen Haufen Geld ausgegeben.«
    Senyora Elisenda Vilabrú zog eine Schublade auf, nahm eine farbige Mappe heraus, holte ein Papier hervor und legte es auf den Tisch.
    »Was ist das?«
    »Hier steht, was du nur seit deiner Hochzeit für Nutten ausgegeben hast.«

59
    Cassià war nicht ganz richtig im Kopf, das sah man schon am Speichel, der ihm aus dem Mund lief, wenn er lächelte. Deshalb bekam er bei Marés immer das Gläschen Wein umsonst. Sogar die Báscones, die über so manchen Kunden die Nase rümpfte, ließ ihn in Ruhe, wenn er Tabak für seine Selbstgedrehten kaufte, und manchmal, wenn er nicht genug Kleingeld dabeihatte, sagte sie: »Laß nur, Cassià, dann zahlst du halt ein anderes Mal«, und wenn sie sich einen Spaß machen wollte, sagte sie, »Sag mal Synchondrosis, Cassià«, und Cassià erwiderte, »Du weißt doch, daß ich meinen Kopf

Weitere Kostenlose Bücher