Die Stimmen des Flusses
ernsthaft verärgert, weil dieser Mann so dumm war. »Du kannst so viel Geld machen, wie du willst, aber sprich mit deinen Freunden weder über meine Angelegenheiten noch über mich. Nie.« Als Valentí schon fast zur Tür hinaus war, fügte sie leise hinzu, wobei sie immer noch aus dem Fenster sah: »Vorsicht, dieser Dauder könnte ein Strohmann sein.«
Valentí kam wieder herein und schloß die Tür. Wütend sagte er: »Ich werde tun, was ich für richtig halte.«
»Auf keinen Fall. Nicht, wenn mein Geld mit im Spiel ist. Du wirst ihm sagen, daß ich keinerlei Interesse habe zu kaufen. Mit diesen Worten. Und er soll sich seinen Berg sonstwohin stecken.«
»Dadurch wird sich alles nur verzögern!«
»Ja. Durch deine Schuld. Weil du immer angeben mußt. So entgehen dir deine Provisionen.«
Valentí ging türenknallend hinaus.
»Valentí«, sagte sie, ohne die Stimme zu heben.
Die Tür ging wieder auf.
»Du weißt, daß ich knallende Türen nicht leiden kann.«
Zornesrot schloß Senyor Valentí Targa die Tür noch einmal, diesmal leise. Sie sah ihn nicht an, als er hinausging; sie konnte nicht wissen, daß es das letzte Mal war, daß sie den Bürgermeister von Torena lebend sehen würde. Auf der Landstraße, die nach Sort hinunterführt, gibt es drei Kurven, die immer im Schatten liegen. Im November, noch dazu frühmorgens, muß man sehr aufpassen, um auf dem Eis nicht ins Schleudern zu geraten. Es geschah in der dritten Kehre, der von Pendís. Valentí Targa war um zehn Uhr in Sort verabredet, und da er zu dieser mysteriösen Zusammenkunft nicht zu spät kommen wollte, fuhr er nach Ansicht der Gutachter wohl über fünfzig und konnte nicht schnell genug reagieren. Sein Wagen stürzte den Abgrund hinunter, überschlug sich mehrmals und prallte gegen die Mauer, die er selbst am Ende des Gemeindebezirks hatte errichten lassen, um Erdrutsche aufzuhalten und um sich im richtigen Moment an ihr den Schädel einzuschlagen.
»Ja, er war erst einundfünfzig Jahre alt.«
»Er war ein sehr … umstrittener Mann«, sagte Tina ernst und nahm einen Keks.
»Ja. Aber er hat es gewagt, Ordnung ins Chaos zu bringen«, entgegnete die Dame.
Senyora Elisenda hatte ihren Tee noch nicht angerührt. Sie dachte an jenen Novembertag dreiundfünfzig, als Ernest Tremoleda Sancho, der Bürgermeister von Sort, sie angerufen und gesagt hatte, »Senyora Elisenda, ein Unglück ist geschehen«, und sie bis ins Krankenhaus von Tremp herunterfahren mußte, wo sie Valentís zerschmetterten Körper sah, und man ihr eine Nachricht vom Provinzgouverneur,diesem Trottel, überbrachte. »Was machen wir jetzt? Niemand will sein Nachfolger werden. Vielleicht sollten wir gleich das ganze Tal Sort eingemeinden?«
»Richten Sie Don Nazario aus, daß er morgen einen Freiwilligen haben wird.«
»Danke, Senyora.«
Senyora Elisenda wies auf Valentí Targas zerschundenen Körper: »Was ist passiert?«
Sie berichteten ihr vom Eis und von der Betonmauer, und sie dachte, einen schlechten Moment hast du dir zum Sterben ausgesucht, Valentí, jetzt kannst du mir nicht erzählen, wer dieser Dauder war, der so gut über den vorhergehenden Kauf von Tuca Bescheid wußte.
»Könnten Sie bitte den Toten identifizieren, Senyora?«
»Wie bitte?«
»Der Arzt bittet Sie, den Toten zu identifizieren. Aus juristischen Gründen.«
»Aha. Und was soll ich ihm sagen?«
»Nun, ob er es ist. Das ist doch Senyor Valentí Targa, nicht wahr?«
Ja, es ist Valentí, mein Irrtum, der Mann, der mich erlösen sollte, mein Goel und der Goel meiner Familie. Er hat seine Pflicht getan, und dann hat er einen Fehler begangen. Einen großen Fehler. Wie ich dich zuletzt gehaßt habe,Valentí, weil ich weiß, daß du es absichtlich getan hast.
»Danke, Senyora.«
Während Jacinto sie zurückfuhr, dankte Senyora Vilabrú, verwitwet mit achtunddreißig, in Trauerkleidung und mit trauriger Miene, im stillen der Betonmauer, die sie innerhalb einer Woche gewissermaßen zum zweiten Mal zur Witwe gemacht hatte. Sie fühlte sich erleichtert: Ein Lebensabschnitt war zu Ende, sie schloß ein Buch. Adieu, Santiago. Danke für die Starthilfe. Adieu Valentí. Danke für deine Dienste. Jetzt bin ich an der Reihe.
»Warum haben Sie gesagt, er sei alles andere als ein Heiliger gewesen?«
»Nun ja … Also, zuerst einmal, weil er nicht an Gott glaubte.«
»Das ist eine Verleumdung.«
»Und weil er eine Geliebte hatte.«
»Das ist schlicht und ergreifend falsch. Und lassen Sie sich gesagt sein,
Weitere Kostenlose Bücher