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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Foto wurde kurz vor seinem Tod aufgenommen.«
    Die Herrin von Casa Gravat kehrte in ihren Sessel zurück, ohne ihren Stock zu Hilfe zu nehmen. Tina betrachtete das Foto erneut, um sich die Gesichtszüge einzuprägen.
    »Er muß fünfzig, einundfünfzig gewesen sein.«
    »In welchem Jahr war das?«
    »Neunzehnhundertdreiundfünfzig.« Das kam wie aus der Pistole geschossen.
    Valentí Targa sah Tina nicht an; er sah nach rechts hinüber, zu den Toten, wo Elisenda stand, nachdem er mit besorgter Miene das Telefon eingehängt und den Fotografen mit einer energischen Handbewegung entlassen hatte. Elisenda Vilabrú, die gerade eine Woche zuvor ihren Mann verloren hatte, wartete, eisig, aufrecht, in Trauerkleidung, vor dem Tisch des Bürgermeisters darauf, daß dieser etwas sagte. Verstohlen sah sie auf die Wanduhr: neun Uhr. Als der Fotograf die Bürotür hinter sich geschlossen hatte und sie allein waren, sah sie den Bürgermeister wütend an.
    »Sag schon, was ist los?«
    »Ein merkwürdiger Anruf.«
    »Und deshalb hast du mich kommen lassen?«
    »Wenn du mich nicht in dein Haus läßt …«
    »Was war so merkwürdig an diesem Anruf?« Senyora Elisendas Kinn ruckte zum Telefon hinüber.
    »Jemand, den ich nicht kenne, will mit mir über Tuca reden.«
    »Mit dir?« Gespannte Stille. »Wer?«
    »Irgend jemand namens Dauder. Seine Sekretärin hat mich angerufen.«
    »Kennst du ihn?«
    »Nein. Er sagt, er sei der eigentliche Besitzer von Vall Negra.«
    »Und warum will er nicht mit mir sprechen?«
    »Er sagt, er hätte eine Information, die …«
    »Niemand sollte wissen, daß ich kaufen will …« Jetzt sah sie ihm direkt in die Augen. »Vor wem hast du angegeben?«
    Wütend sprang er auf. »Ich habe mit niemandem gesprochen!«
    »Du sollst mich nicht anschreien«, sagte sie leise. »Vergiß das nicht.«
    Valentí Targa fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und sank auf seinen Stuhl zurück.
    »Vor wem hast du angegeben?«
    Schweigen. Senyora Elisenda wandte sich von ihm ab, sah aus dem Fenster. Grauer Novemberhimmel. Ein kalter Tag mit vereisten Straßen. Senyor Valentí Targa, der Henker von Torena, öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Da von ihm nichts kam, sagte sie, ohne den Blick vom bleiernen Himmel abzuwenden: »Wer hat dir erlaubt, dich in meine Angelegenheiten zu mischen?«
    »Ich …«
    »Nein«, sagte sie leise, ganz leise: »Ich habe dich gefragt, wer dir das erlaubt hat.«
    »Niemand.« Geschlagen senkte Valentí den Kopf.
    »Also gut. Nun werde ich dir etwas erzählen.«
    Sie sah ihn an. Der Bürgermeister duckte sich in seinen Stuhl wie ein getadelter Schulbub. Elisenda sagte langsam, als spräche sie zu einem Kind: »Die Skipiste ist eine langfristige Investition, und wenn sie schiefgeht, gute Nacht. Ich möchte Tuca an die Schweden verkaufen. Wenn alles gutgeht, werde ich so reich, daß …«
    »Das weiß ich alles.«
    »Hör mir gefälligst zu, wenn ich rede«, sagte sie schroff. »Um den Berg verkaufen zu können, muß ich ihn erst Stück für Stück aufkaufen, und zwar zu einem guten Preis. Du hilfst mir dabei, und ich entlohne dich großzügig dafür. Ist das klar?«
    »Ja, Fräulein Lehrerin.«
    »Aber wenn sich das herumspricht, ist es mit den guten Preisen vorbei. Und jetzt wirst du mir sagen, mit wem du darüber gesprochen hast, oder du darfst in der Pause nicht raus.«
    »Ich weiß nicht, vielleicht habe ich mal gegenüber dem Provinzabgeordneten etwas fallenlassen …«
    »Du bist ein Schwachkopf, genau wie deine Scheißfreunde von der Falange.«
    »Beleidige mich nicht.«
    »Ich tue, was ich will.« Sie wies auf den klobigen Apparat auf dem Tisch: »Außerdem darf man so etwas nicht am Telefon bereden.«
    »Warum nicht?«
    »Weil die Telefonistin mithören könnte.«
    »Cinteta ist sehr …«
    »Sie ist eine Schnüfflerin wie alle.«
    Elisenda blickte wieder aus dem Fenster; sie dachte nach. Schließlich faßte sie einen Entschluß und sah Targa an.
    »Nun gut. Du fährst zu diesem Dauder und streitest ab, daß ich kaufen will. Und vor allem machst du ihm klar, daß du keinerlei Entscheidungsbefugnis hast. Und deinen Provinzabgeordneten erinnerst du daran, daß noch eine Neubewertung der Ländereien aussteht, wenn er nicht will, daß ich alles dem Zivilgouverneur erzähle …«
    Valentí erhob sich gekränkt, zog sich den Mantel an, setzte seinen Hut auf und öffnete die Tür.
    »Dir gefällt es nur nicht, daß ich auch was verdiene.«
    »Um Himmels willen,Valentí!« Jetzt war sie

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