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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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untersuchte. Das Erstaunlichste, das wir diesem Tribunal über den Fall zu berichten haben, ist indes, daß es den Verbrechern, nachdem der Märtyrer sein Leben für die katholische Kirche, das Tabernakel und das Allerheiligste gegeben hatte, auch mit vereinten Kräften nicht gelang, seinen Körper vom Tabernakel loszureißen, das er noch immer umklammert hielt. Keine Macht der Welt vermochte ihn davon zu trennen. Gotteslästerlich fluchend, versuchten sie es noch eine Zeitlang, bis ihr Anführer befahl, zu fliehen, bevor die Ordnungskräfte einträfen. Zur Erinnerung an ihren schmählichen Auftritt im Dorf warfen sie noch einige Granaten, welche die gesamte Nordseite des Rathauses beschädigten und einen kleinen Brand auslösten.
    Senyora Elisenda Vilabrú Ramis bezeugt, daß sie – erschüttert von dem, was sie mit angesehen hatte – zum Märtyrer Oriol hinüberging, kaum daß die Gotteslästerer und Mörder die Kirche verlassen hatten, und ihn mit ihren schwachen Kräften mühelos aus seiner Umarmung des Tabernakels lösen konnte. Ihre Aussage wird bestätigt vom bereits erwähnten Valentí Targa, dessen Aussage ebenfalls beiliegt. Als Anhang fügen wir noch das wertvolle Zeugnis von HochwürdenAugust Vilabrú Bragulat bei, der sich, sogleich benachrichtigt, am Tatort einfand und die Ereignisse gleichfalls bestätigt.
    »Ich hatte keine Ahnung. Ich bin sprachlos.«
    Senyora Elisenda hatte mit gesenktem Kopf gesprochen, als ob so die Erinnerungen besser flössen. Sie zeigte auf das Teeservice, und da erst merkte Tina, daß sie den Tee gar nicht angerührt hatte. Sie trank einen Schluck und wandte dann ein, in einem Gemeindeblatt von damals seien die Ereignisse ein wenig anders dargestellt.
    »Ich weiß, aber das dürfen Sie nicht glauben. Die waren nicht dabei.«
    Und so schließen wir den Prozeß und erklären als Prälat dieser Diözese, daß der Postulator Zeugnis vom allgemeinen Ruf sowie den Tugenden und Wundern des Dieners Gottes, Oriol Fontelles Grau, abgelegt hat. Item haben wir die Gewißheit, dem Dekret Urbans VIII. über das Verbot des vorzeitigen Kultes entsprochen zu haben, und so bilde ich mir ein Urteil über die wiederholt erwähnten Fakten. Was die processiculi diligentiarum genannten Untersuchungen betrifft, bleibt zu bemerken, daß außer persönlichen, unbedeutenden Anmerkungen und der normalen Korrespondenz sich keinerlei Papiere, Bekenntnisse, Tagebücher oder schriftliche Überlegungen gefunden haben, keinerlei theologische oder philosophische Studien, die den Beweisen für die Causa beigefügt werden könnten, weder zu Gunsten noch zu Ungunsten des Anwärters auf die Seligsprechung. Und so erklären wir heute, am 18. Oktober 1954, genau zehn Jahre nach dem heldenhaften Tod des Anwärters, kraft des Amtes, das uns die Heilige Mutter Kirche verliehen hat, daß Senyor Oriol Fontelles Grau im Augenblick seines Todes die christlichen Tugenden in heldenhaftem Maße ausgeübt hat, so daß wir ihn als wahren Märtyrer betrachten und seligsprechen können.
    In Anwesenheit des Postulators Hochwürden Aureli Bagà Riba, Pfarrer der Gemeinde, in der sich die Ereignisse zugetragen haben, und vor dem Hauptnotar dieser Diözese,Monsignore Norbert Puga Closa, versichern wir, daß der gesamte Vorprozeß abgeschlossen und versiegelt ist, wie es die kirchlichen Verfügungen über den Prozeß der Seligsprechung erfordern, der nun zugunsten des ehrwürdigen Oriol Fontelles Grau eingeleitet werden kann. Tenore praesentium indulgemus ut idem servus Dei venerabilis nomine nuncupetur. Joan, Bischof von La Seu.
    »Ihnen, Senyora Elisenda, haben wir diese Freude zu verdanken«, sagte der Pfarrer mit leuchtenden Augen. Dann wandte er sich an die übrigen: »Was gäbe ich dafür, noch erleben zu dürfen, wie das Bildnis eines Heiligen verehrt wird, der, wenn Sie die Bemerkung gestatten, in dieser Kirche entstanden ist.«
    »Sie werden noch lange leben, Hochwürden«, verkündete Senyora Elisenda.
    Pere Cases von den Majals lächelte freundlich. Er lächelte unermüdlich alle und jeden an, denn dies war sein erster Akt als Bürgermeister, und er wollte in nichts, wirklich gar nichts, an seinen Amtsvorgänger erinnern. Er hatte mit der Witwe Vilabrú und dem Gemeinderat den Pfarrer im heruntergekommenen Rathaussaal empfangen, um über den zukünftigen Seligen und Heiligen aus dem Dorf zu sprechen. Na ja, eigentlich stammte er ja gar nicht aus dem Dorf, aber doch beinahe, zum Teufel.
    »Die Seligsprechung kann erst

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