Die Stimmen von Marrakesch
Bursche, der uns nicht mehr sagen konnte, gab sich Mühe, uns gefällig zu sein und führte uns zu einem schlanken, großgewachsenen alten Mann, der einen weißen Turban trug und mit Respekt behandelt wurde. Er sprach gut Französisch und entgegnete fließend auf unsere Fragen. Die Karawane kam von Gulimin und war wirklich seit fünfundzwanzig Tagen unterwegs.
»Und wohin geht es weiter?«
»Es geht nicht weiter«, sagte er. »Sie werden hier verkauft, zum Schlachten.«
»Zum Schlachten?«
Wir waren beide betroffen, selbst mein Freund, der in seiner Heimat ein leidenschaftlicher Jäger ist. Wir dachten an die weite Wanderung der Tiere; ihre Schönheit in der Dämmerung; ihre Ahnungslosigkeit; ihr friedliches Mahl; und vielleicht auch an die Menschen, an die sie uns erinnert hatten.
»Zum Schlachten, ja«, wiederholte der Alte, seine Stimme hatte etwas Schartiges, wie von einem abgenützten Messer.
»Wird denn hier viel Kamelfleisch gegessen?« fragte ich. Ich suchte meine Betroffenheit hinter sachlichen Fragen zu verbergen.
»Sehr viel!«
»Wie schmeckt es denn? Ich habe noch nie welches gegessen.«
»Sie haben noch nie Kamelfleisch gegessen?« Er brach in ein höhnisches, etwas dünnes Gelächter aus und wiederholte: »Sie haben noch nie Kamelfleisch gegessen?« Es war klar, er war der Meinung, daß man uns hier nichts als Kamelfleisch vorsetzte, und er gehabte sich sehr überlegen, so als zwinge er uns, es zu essen. »Es ist sehr gut«, sagte er.
»Was kostet denn ein Kamel?«
»Das ist verschieden. Von 30000 bis 70000 Francs. Ich kann es Ihnen zeigen. Man muß es verstehen.« Er führte uns zu einem sehr schönen, hellen Tier und berührte es mit seinem Stöckchen, das ich erst jetzt bemerkte. »Das ist ein gutes Tier. Das ist 70000 Francs wert. Der Besitzer ist selber darauf geritten. Er könnte es noch viele Jahre verwenden. Aber er hat es lieber verkauft. Für das Geld kann er zwei junge Tiere kaufen, verstehen Sie?«
Wir verstanden. »Sind Sie mit der Karawane von Gulimin gekommen?« fragte ich.
Er lehnte diese Zumutung etwas verärgert ab. »Ich bin von Marrakesch«, sagte er stolz. »Ich kaufe Tiere und verkaufe sie an die Schlächter.« Er hatte nur Verachtung übrig für die Männer, die den ganzen weiten Weg gekommen waren, und von unserem jungen blauen Treiber sagte er: »Der weiß nichts.«
Er aber wollte wissen, woher wir seien und wir sagten, der Einfachheit halber, beide »von London«. Er lächelte und schien ein wenig gereizt. »Ich war im Krieg in Frankreich«, sagte er. Sein Alter machte es klar, daß er vom Ersten Weltkrieg sprach. »Ich war neben Engländern. - Ich kam nicht gut mit Ihnen aus«, fügte er rasch und etwas leiser hinzu. »Aber heute ist der Krieg kein Krieg mehr. Es ist nicht der Mann, der zählt, die Maschine ist alles.« Er sagte noch einiges über den Krieg, das sehr resigniert klang. »Das ist kein Krieg mehr.« Darüber einigten wir uns mit ihm und er schien es so zu verwinden, daß wir aus England kamen. »Sind alle Tiere schon verkauft?« fragte ich noch. »Nein. Alle können nicht verkauft werden. Die übrig bleiben, gehen weiter, nach Settat. Kennen Sie Settat? Das ist auf dem Wege nach Casablanca, 160 Kilometer von hier. Dort ist der letzte Kamelmarkt. Da werden die übrigen verkauft.«
Wir bedankten uns. Er entließ uns ohne jede Feierlichkeit. Wir gingen nicht mehr unter den Kamelen herum, die Lust dazu war uns vergangen. Es war beinahe dunkel, als wir die Karawane verließen.
Das Bild der Tiere ließ mich nicht los. Ich dachte mit Scheu an sie, aber doch, als wären sie mir seit langem vertraut. Die Erinnerung an ihre Henkersmahlzeit verband sich mit jenem Gespräch über Krieg. Der Gedanke, den Kamelmarkt am nächsten Donnerstag zu besuchen, blieb in uns lebendig. Wir beschlossen, früh am Morgen zu fahren, und vielleicht hofften wir, diesmal einen weniger düsteren Eindruck von ihrem Dasein zu gewinnen.
Wir kamen wieder vor dem Tor ELKhemis an. Die Zahl der Tiere, die wir vorfanden, war nicht allzu groß: Sie verloren sich in der Weite des Platzes, der schwer auszufüllen wäre. Auf einer Seite waren wieder die Esel. Wir gingen nicht zu ihnen hinüber, wir blieben bei den Kamelen. Es waren nie mehr als je drei oder vier von ihnen beisammen; manchmal stand ein Junges allein neben seiner Mutter. Sie schienen uns erst alle ruhig. Das einzig Laute waren kleine Gruppen von Männern, die heftig feilschten. Aber es kam uns so vor, als ob die Männer
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