Die Strafe des Seth
neunundzwanzig Jahre alt und seit mehr als zehn Jahren hier am Hof der Gehilfe von Sari. Ich habe eine Menge gelernt in dieser langen Zeit, doch vor allem, dass der Oberste Arzt niemals freiwillig seinen Platz räumen wird.«
Sethi grinste belustigt. »Du hattest sicher gehofft, dass er nach dem Tod meines königlichen Bruders abgesetzt und stattdessen du in dieses verantwortungsvolle Amt berufen wirst. Habe ich recht?«
»Nein, Hoheit. Damals war ich noch zu jung und unerfahren, aber heute bin ich das nicht mehr. Trotzdem bin ich noch immer nur ein Gehilfe! Ich verbinde verletzte Gliedmaßen, darf hin und wieder eine offene Wunde nähen, doch wenn es um die wirklich interessanten Fälle geht oder Pharao selbst die Hilfe eines Arztes benötigt, dann werde ich nicht mehr gebraucht. Dann eilt der fette Sari schniefend durch die Gänge des Palastes und tut, als ob nur er der einzige Heilkundige in Per-Ramses und ganz Kemi sei.«
»Was dir nicht gefällt«, mutmaßte Sethi.
»Nein, Hoheit, nicht im Geringsten. Ich kann mehr und will das auch endlich beweisen dürfen!«
»Das glaube ich dir gern, doch was genau erhoffst du dir von mir? Soll ich zu Ramses gehen und ihn bitten, dass er dich zu seinem Leibarzt ernennt?« Sethi klang spöttisch und erntete einen bitteren Blick des Arztes.
»Verzeih, Hoheit«, erwiderte Hui gekränkt und nahm seine Tasche, in der er zuvor die Salben und das restliche Verbandzeug verstaut hatte. »Ich hätte dich damit nicht behelligen sollen.« Er wollte sich verneigen und gehen, doch Sethherchepeschef hielt ihn zurück.
»Was würdest du davon halten, wenn ich dich in meine Dienste nehme? Ich bin zwar nicht der Herr der Beiden Länder, aber auch durch meinen Körper fließt königliches Blut.«
»Meinst du das im Ernst? Ich glaube, mit diesem Gedanken könnte ich mich anfreunden. Denn wenn ich darauf warten soll, bis der fette Sari abtritt, bin ich ebenfalls alt und grau, und meine Hand wird zittern, wenn ich einen chirurgischen Eingriff wage.«
»Gut möglich, doch auf einen chirurgischen Eingriff solltest du bei mir nicht unbedingt hoffen. Doch nun gehe und berichte deiner Frau und deinen Kindern, sollten sie zusammen mit dir nach Theben gereist sein, dass du der Leibarzt eines Prinzen bist. Alles andere werde ich mit Sari regeln.«
»Danke, Hoheit, ich bin allerdings unverheiratet und bewohne in der nördlichen Königsstadt eine kleine Kammer im Bereich der Dienerschaft.«
»Du besitzt kein eigenes Heim?« Überrascht hob Sethi die Augenbrauen. »Dann melde dich bei meinem Hausverweser, wenn wir wieder in Per-Ramses sind. Er wird dir zeigen, wo du wohnen kannst.«
Hui verneigte sich dankbar und verschwand.
Sethi hingegen begab sich in die Gemächer von Senehat, die sich im Bereich des Harims befanden und für die Gemahlinnen aus der Verwandtschaft des Pharaos reserviert waren. Dabei schweiften seine Gedanken ab zu den Ereignissen im vergangenen Jahr, nachdem ihn sein Neffe unter Arrest gestellt hatte.
Als Ramses ihn in Abydos ohne jegliche Begründung in die Hauptstadt im Delta geschickt hatte, hatte er bereits befürchtet, Ramses hätte von seinen gegen ihn gesponnenen Intrigen Wind bekommen. Glücklicherweise war dem nicht so. Irgendjemand, wahrscheinlich Amunhotep, so mutmaßte Sethherchepeschef, musste ihn verleumdet haben. Er hatte bestürzt auf die Entscheidung seines königlichen Neffen reagiert und den zu Unrecht verurteilten Prinzen gemimt. Jeglichen Kontakt zu seinen Verbündeten hatte er seitdem vermieden, einzig Senenmut, der Vierte Prophet des Amun-Re und sein Schwiegervater, hatte ihm Ende des letzten Jahres in Per-Ramses einen Besuch abgestattet. Von ihm wusste Sethi, dass Ramses’ Maßnahmen von vielen Würdenträgern nicht befürwortet wurden. Immerhin trafen seine Sparmaßnahmen dieses Mal auch sie.
»Es ist für deine Anhänger die Bestätigung«, hatte Senenmut ihm erzählt, »dass du, Hoheit, auf dem rechten Wege bist. Dein Neffe ist unfähig, die Beiden Länder zu regieren. Niemals zuvor ist es unter seinen Vorgängern zu solchen Missständen gekommen, wie sie derzeit herrschen. Noch nie hat sich einer von ihnen an den Speichern der Reichen vergriffen und diese bis auf das letzte Körnchen geleert. Selbst die Tempel bleiben unter Ramses’ Herrschaft nicht verschont. Auch in Opet-sut soll in Zukunft der Gürtel enger geschnallt werden.« Empört hatten Senenmuts Augen geblitzt. »Ramses befürchtet, dass das Hochwasser nicht rechtzeitig einsetzen oder
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