Die Strasse der Oelsardinen
war ja auch schon bei ihm. Aber meinst du, er hätte mich auch nur angerührt?«
»Er hat halt nicht gewollt. Aber vielleicht, wenn du nicht hier arbeiten würdest, hätt' er dich mit aller Gewalt nicht 'rausgelassen.«
»Glaubst du, er ekelt sich vor unserem Beruf?«
»Aber nein! Er meint vielleicht nur, eine im Puff hat kein Herz.«
Die Mädchen nahmen noch ein Schlückchen; auch Dora in ihrem Büro goß sich noch einmal ein, trank aus, stellte die Flasche zurück, schloß ihr Rollpult, musterte ihre untadelige Frisur in dem Wandspiegel, betrachtete ihre rot leuchtenden Nägel und begab sich zur Bar.
Alfred, der Herausschmeißer, war beleidigt. Er ließ sich's nicht merken; man sah's ihm nicht an, aber er war beleidigt. Dora sah kühl über ihn weg. »Jetzt denkst du wohl, dir geschieht ein Unrecht«, sagte sie nach längerem beiderseitigem Schweigen.
»Nein. Ist schon gut«, gab Alfred kurz zurück.
»Ist schon gut, ha!« lachte Dora betroffen auf, »das ist ja gut! Ich denk', du bist bei mir in Stellung, Mister Alfred. Wenn dir's nicht mehr paßt, brauchst du es nur zu sagen.«
»Ist ja gut, ich sag' ja nichts, machen Sie doch keine Geschichten!« Er stützte sich mit den Ellenbogen auf den Bartisch und betrachtete sich im Spiegel. »Gehen Sie und amüsieren sie sich, ich pass' schon auf alles auf, da brauchen Sie keine Angst zu haben.«
Seine Entsagung erweichte Dora. »Sieh, Alfred«, redete sie ihm gut zu, »es ist mir unangenehm, wenn das Haus ohne männlichen Schutz ist. Wenn irgendein Besoffener den Koller bekommt, wissen die Kinder nicht ein noch aus. Der Abend ist ja noch lang. Später kannst du dann 'rüberkommen und das Haus vom Fenster aus in den Augen behalten. Wenn was passiert, bist du dann gleich zur Hand. Bist du jetzt zufrieden?«
»Ja. Ich möchte schon gern dabeisein.« Doras Erlaubnis ließ seinen Unwillen schmelzen. »Ich komm' dann später auf einen Sprung. Gestern abend der Kerl, das war wirklich ein hundsgemein besoffenes Schwein, und weißt du, Dora, seit ich neulich dem alten Krakeeler das Steißbein gebrochen habe, kann ich mich manchmal nicht recht beherrschen, ich bin meiner nicht mehr sicher. Mal werde ich einen fertigmachen und geschnappt werden.«
»Dir täte eine Erholung gut, Fred. Vielleicht bekomme ich Mack dazu, daß er dich vertritt; dann kannst du ein paar Wochen ausspannen.« Sie war eine wundervolle Madam, ja, das war Dora.
Im Laboratorium setzte Doc auf das Bier einen kleinen Whisky. Er fühlte sich schon leicht angeheitert. Er freute sich jetzt auf das Fest. Er fand den Gedanken so nett. Er spielte die Pavane für eine tote Prinzessin und wurde darüber so schwermütig, daß er mit Daphnis und Chloe fortfuhr. In diesem Musikstück kam eine Stelle vor, die ihn an etwas anderes erinnerte: die Schlacht von Marathon... Athenische Kundschafter meldeten, eine mächtige Staubwolke wälze sich über die Ebene, und aus der Wolke vernahmen sie das Klirren von Waffen und hörten den Kriegsgesang von Eleusis. Daran erinnerte ihn jene Passage.
Er trank noch einen und überlegte sich, welches der Brandenburgischen Konzerte er auflegen sollte; er mußte diese süß sentimentale Stimmung vertreiben! Muß? Warum muß? Was ist an sentimentaler Süßigkeit unrecht? Wenn sie mir schmeckt? Und sie schmeckt mir. »Ich spiele, was mir gefällt!« rief er laut. »Ich spiele, wenn mir's behagt, Clair de lune oder Als Büblein klein an der Mutter Brust . Ich bin ein freier Mann!« trotzte er und trank noch einen und versöhnte sich mit sich selbst und spielte die Mondscheinsonate . Er sah die Neon-Laufschrift von La Ida auf und ab blinken. Dann ging die Straßenlaterne vor Dora an.
Ein Schwarm dicker brauner Käfer flatterte gegen das Licht, plumpste zu Boden, zappelte mit den Beinchen und tastete mit den Fühlern herum. Ein Katzenfräulein strich einsam die Dachrinne entlang und suchte ein Abenteuer. Sie wunderte sich, was aus all den Katern geworden war, die ihr die Nächte süß und das Leben schmackhaft gemacht hatten.
Mr. Malloy spähte auf Händen und Füßen aus seiner Kesseltür, ob noch niemand zur Party gehe. Im Palace saßen die Jungens voll Ungeduld, die Augen gebannt auf die Zeiger der Weckuhr gerichtet.
30. Kapitel
Obschon die Wesensergründung von Partys erst in ihren Anfängen steckt, besteht nirgends ein Zweifel darüber, daß die Party ein Individuum ist, und zwar ein recht verschrobenes Individuum. Auch darüber sind die Gelehrten sich einig, daß keine Party planmäßig
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