Die Strasse der Oelsardinen
ganzen Tag blieb er unter dem Boot. Erst am Abend kam er hervor, zog wieder zur Alvarado Street und ging da auf und ab, immerzu.
Leute kamen vom Kino oder gingen ins Kino oder ins Varieté.
Frankie aber ging auf und ab und wurde nicht müde, nicht schläfrig, denn in ihm brannte die Schönheit wie Feuer.
Dünner und dünner wurde der Straßenverkehr; die parkenden Wagen, die Menschen verschwanden. Die Stadt ging schlafen.
Ein Polizist faßte Frankie ins Auge. »Was lungerst du da herum?«
Frankie nahm Reißaus, floh um die Ecke und versteckte sich in dem Gäßchen hinter einer Kehrichttonne. Um halb drei Uhr nachts schlich er sich zur Ladentür von Jacob und versuchte zu öffnen. Es war geschlossen. Er ging wieder in das Gäßchen, kauerte hinter der Tonne und grübelte. Nicht weit von ihm lag ein fester Klumpen Mörtel. Den hob er auf.
Der Schutzmann berichtete nachher auf dem Polizeirevier, er habe es krachen gehört, sei sogleich vor das Geschäft gerannt, habe die Scheibe zerbrochen und den Knaben in eiliger Flucht gesehen, worauf er ihm nachgesetzt sei. Es sei ihm geradezu unverständlich, wieso der Schwächliche in solcher Geschwindigkeit und so weit habe wegrennen können. Das Gewicht der Uhr mit Bronzeaufbau betrug rund fünfzig Pfund. Der Einbrecher wäre ihm beinahe entkommen, doch geriet er auf seiner Flucht in eine Sackgasse...
Am folgenden Tag rief der Polizeivorsteher bei Doc an: »Wenn Sie bitte vorbeikommen möchten, ich hätte mit Ihnen zu reden...«
Man führte den völlig verdreckten Frankie herein. Seine Augen waren rot, wie entzündet, aber sie zuckten nicht, und der Mund war fest. Als er Doc sah, lächelte er sogar; es war wie ein Willkommensgruß.
»Was ist denn los, Frankie?« fragte Doc.
»Er hat heute nacht eingebrochen, bei Jacob, hat was gestohlen. Wir haben uns mit seiner Mutter in Verbindung gesetzt. Sie hat erklärt, es geht sie nichts an; der Junge sei dauernd bei Ihnen.«
»Frankie - das hättest du nicht tun sollen«, sagte Doc bedrückt. Das Unentrinnbare lastete wie ein Stein auf seinem Herzen. »Können Sie ihn auf meine Bürgschaft hin laufenlassen?«
»Ich glaube, der Richter wird das nicht zulassen«, sagte der Vorsteher. »Es liegt schon ein Gutachten über ihn vor, von der Psychiatrischen, Sie wissen doch, daß er nicht ganz -«
»Ich weiß«, sagte Doc.
»Dann können Sie sich wohl vorstellen, was aus dem Früchtchen wird, wenn er erst in die Pubertätsjahre kommt.«
»Ich kann es mir vorstellen.« Schwerer noch, schrecklich schwer drückte der Stein auf sein Herz.
»Der Arzt meinte«, erklärte der Vorsteher, »man soll ihn in eine Anstalt geben. Bis jetzt war das nicht möglich, aber nun, wo ein schweres Delikt vorliegt... Es ist wohl das beste.« Aus Frankies Augen war der Willkommensgruß geschwunden. Er hatte den Sinn der Worte verstanden.
»Was hat er denn weggenommen?« fragte Doc.
»Eine Uhr mit Bronzestatue.«
»Ich werde den Schaden ersetzen.«
»Wir haben sie schon wieder zurückgebracht. Der Richter wird sich wohl auf nichts einlassen. Es kann jeden Tag wieder dasselbe passieren. Sie wissen doch selbst...!«
»Ich weiß«, sagte Doc sanft. »Aber vielleicht hatte er einen Grund. Frankie! Warum hast du das weggenommen?«
Frankie sah ihn an, lange. »Ich liebe dich«, sagte er dann.
Doc rannte hinaus, bestieg seinen Wagen und fuhr, Seetiere zu sammeln, in die Höhlen unter Point Lobos.
29. Kapitel
Am 27. Oktober nachmittags um vier tat Doc noch eine Qualle, die letzte, in einen Konservierungszylinder, spülte den Formalintiegel aus, reinigte seine Pinzetten, puderte die Gummihandschuhe, zog sie aus, ging in den ersten Stock, fütterte seine Ratten, verstaute das Mikroskop und die besseren Platten im Hinterzimmer und sperrte ab, denn es war schon vorgekommen, daß Gäste, die einen sitzen hatten, mit den Klapperschlangen spielen wollten. Durch diese und andere vorbeugende Maßnahmen hoffte Doc, ohne der Festesfreude Abbruch zu tun, die mörderischen Auswirkungen der Party auf ein Mindestmaß herunterzudrücken.
Er setzte Kaffee auf, ließ auf dem Plattenspieler die Große Fuge ertönen, duschte sich, und dies in solcher Geschwindigkeit, daß er, ehe noch die Fuge zu Ende war, frisch angezogen bei seiner Tasse Kaffee saß und zum Fenster hinaus über den leeren Platz zum Palace hinauf sah.
Nichts regte sich. Doc wußte nicht, wer und wie viele ihn heute besuchen würden; er wußte nur eines: er wurde beobachtet; schon die ganzen letzten Tage hatte man auffallend
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