Die Strasse des Horus
machen, doch er zögerte. Sie nahm ihre Umgebung nicht wahr, sondern nur noch ihren Gram, hatte die Augen geschlossen, und ihr ganzer Leib war ein stummer Schmerzensschrei, während ihre Totenklage das Zelt erfüllte. Nichts, was ich sagen oder tun kann, wäre aufrichtig, dachte Ahmose. Ich bin froh, dass er tot ist, es wäre gelogen, wenn ich das Gegenteil behaupten würde. Er stahl sich so geräuschlos davon, wie er gekommen war.
Dann ließ er Turi melden, er solle sich auf der Stelle fertig machen, gab jedoch Tani noch eine weitere Stunde, sodass sich ihr erster heftiger Kummer erschöpfen konnte, ehe er Apophis’ Leichnam hinaustragen und in den sandgefüllten Sarg legen ließ. Als sie dann mit verquollenen Augen und stumm aus dem Zelt trat, war die Kiste verschlossen und auf einen Karren geladen, Thron und Insignien auf einen anderen, und Machu wartete mit einem Streitwagen auf sie. Turi und die Eskorte standen auch bereit, die Mienen ernst im flammenden, dunkelgoldenen Schein der Fackeln. Ahmose trat näher, doch sie ging an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, stieg in den Streitwagen und machte es sich auf dem Boden bequem. Auf Ahmoses Wink hin rief Turi einen Befehl, die Soldaten ordneten sich in Reih und Glied, und der Zug setzte sich in Bewegung. Ahmose lauschte ihm nach, bis der Fackelschein nur noch ein verblassendes Flackern war, dann wandte er sich zum Gehen. »Zu Bett, Achtoi«, sagte er über die Schulter. »Vor Tagesanbruch brauche ich dich nicht mehr.«
Er ging weiter, stolperte bisweilen auf dem unebenen Gelände, schritt durch die säuberlich aufgereihten Zelte, vorbei an den Pferdeställen, bis er die äußerste Grenze des Lagers erreichte. Er wurde angerufen und antwortete, spürte den neugierigen Blick des Wachpostens in seinem Rücken, doch er ging immer weiter. Schließlich merkte er, dass er ganz außer Sicht-und Hörweite seines Heeres geraten war, und blieb stehen. Der Mond ging unter, eine helle, verformte Scheibe, die sich weit hinten im Westen anschickte, ins Meer zu sinken. Er schien nicht mehr, doch die Sterne strahlten über seinem Kopf, und ringsum erstreckte sich die Wüste friedlich und still. Nicht einmal die Luft bewegte sich.
Ahmose erblickte in der Nähe einen schattenhaften, großen Stein, setzte sich und legte die Stirn auf die Knie. Es ist vorbei, dachte er. Es ist wirklich vorbei. Er spürte, wie bei diesen Worten etwas in ihm nachgab, ein straff gespanntes Band, das zerriss, und auf einmal weinte er, und heiße Tränen spritzten auf seine Füße, in seiner Kehle stiegen Schluchzer hoch, die lange irgendwo tief unten in seiner Seele erstarrt gewesen waren, und er konnte nicht aufhören, bis auch der letzte geborsten, geschmolzen und fortgewaschen war.
Siebzehntes Kapitel
Bei Tagesanbruch kehrte Ahmose in sein Zelt zurück. Ehe er sich waschen ließ und speiste, ließ er Chabechnet holen. »Ernenne vier Herolde, die sich unter den vier Mauern der Stadt aufstellen und mittags, nachmittags und bei Sonnenuntergang Apophis’ Tod verkünden«, befahl er. »Lass sie sagen: ›In dieser Nacht ist Awoserra Apophis zu seinen Göttern versammelt worden.‹ Wir brauchen sie nicht zu beleidigen, sondern nehmen Rücksicht auf den Kummer seiner Familie.« Er merkte, dass Chabechnet rasch seine Miene musterte, ehe er den Blick senkte und sich entfernte, und da ging ihm auf, dass man ihm seine Tränen noch ansah. Na und, dachte er, als sich Hekayib mit einem Becken dampfenden, duftenden Wassers und einem Fläschchen Öl ins Zelt schob. Sollen meine Leute ruhig sehen, dass ein König auch nur ein Mensch ist und Tränen vergießt und dennoch die höchste Befehlsgewalt des Gottes über sie hat.
Er verbrachte den Morgen mit einer Rundfahrt durch das Lager. Die Soldaten hatten bereits die Nachricht erhalten, dass sie aufbrechen würden, und sie jubelten ihm zu, als er vorbeifuhr. Nachmittags traf er sich mit den Generälen, entwarf sorgfältig seinen Plan und betonte Abanas Rolle dabei. »Ptah wird vorübergehend aufgelöst, aber sage es deinen Männern noch nicht, Achethotep. Sie sollen nüchtern und geordnet nach Ägypten zurückmarschieren.« Seine Männer lachten. »Du, Baqet, bleibst mit der Thot-Division hier in Sichtweite von Scharuhen, und du, Meryrenefer, tust, als ob du aufbrichst, stellst jedoch deine Soldaten kampfbereit hinter den Dünen auf. Versteckt euch gut, aber seid bereit zu reagieren, wenn Baqet Nachricht schickt, dass Apophis der Jüngere die
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