Die Straße in die Stadt
sei.
»Die glaubt, sie sei wer weiß wer, nur weil sie im Winter einen Pelzmantel trägt«, sagte sie. »Die Contessa besaß gleich drei Pelzmäntel und warf sie beim Heimkommen dem Diener in den Arm, als wären es Lumpen. Dabei weiß ich genau, was sie wert waren.
Ich kenne mich aus mit Pelzen. Der von Azalea ist Kaninchen. Stinkt nach Kaninchen aus einem Meter Entfernung.«
»Dieser Nini ist ein komischer Kauz«, sagte sie manchmal, »ich bin ja seine Tante, genausogut wie deine, aber ich habe nie das Vergnügen gehabt, ihn ein bißchen besser kennenzulernen. Als ich ihn eines Tages in der Stadt traf, hat er mich höflich gegrüßt und ist weitergegangen. Dabei hab ich ihn als Kind auf dem Arm getragen und seine Hosen geflickt, weil er immer zerrissen herumlief. Man hat mir gesagt, er lebe mit einer Frau zusammen.«
»Er arbeitet in der Fabrik«, sagte ich zu ihr.
»Zum Glück gibt’s wenigstens einen, der arbeitet. Meine Kinder arbeiten alle, aber bei euch tut keiner was. Ihr seid aufgewachsen wie Unkraut, ein Jammer, wenn man nur dran denkt. Seit du hier bist, hast du nicht einmal dein Bett gemacht. Sitzt den ganzen Tag herum, die Füße auf dem Hocker.«
»Es geht mir schlecht«, sagte ich zu ihr, »es geht mir zu schlecht, ich darf mich nicht anstrengen.«
»Man sieht’s ihr ja an, wie sie leidet«, sagte Santa, »sie ist grün wie eine Zitrone und verzieht dauernd den Mund. Nicht alle sind so robust wie wir. Weil wir unter Bauern leben, sie dagegen ist näher an der Stadt aufgewachsen.«
»Sag ruhig, daß sie dauernd in der Stadt war. Schon seit sie klein war, tat sie nichts als wegrennen, in die Stadt, und so hat sie ihr Schamgefühl verloren. Ein Mädchen dürfte keinen Fuß in die Stadt setzen, wenn die Mutter sie nicht begleitet. Aber ihre Mutter spinnt ja auch ganz schön. Ihre Mutter hatte als Mädchen auch keinen Respekt.«
»Aber wenn Delia heiratet, geht’s ihr besser als allen anderen«, sagte Santa, »und dann wird sie bestimmt genauso eingebildet wie Azalea.«
»Das stimmt. An dem Tag, an dem sie heiratet, fehlt es ihr an nichts mehr. Na, warten wir’s ab, ob sie heiratet. Vielleicht wird ja alles gut, aber wer weiß. Wollen wir’s hoffen.«
»Wenn du verheiratet bist, komme ich als Dienstmädchen zu dir«, sagte Santa, als die Tante hinausgegangen war, »falls ich nicht selber heirate. Aber wenn ich heirate, muß ich aufs Feld, mit Kopftuch und Holzschuhen an den Füßen auf dem Esel sitzen und schwitzen, den ganzen Tag hin und her. Denn mein Verlobter ist Bauer, und sie besitzen Land bis unter das Dorf, ohne den Weinberg mitzurechnen, und haben Kühe und Schweine. Mir wird es auch an nichts fehlen.«
»Wie lustig. Mir wird schlecht, wenn ich bloß dran denke«, sagte ich.
»Oh, dir wird immer schnell schlecht«, sagte Santa beleidigt, während sie den Kohl für die Suppe putzte. »Ich hab Vincenzo lieb, ich würde ihn auch nehmen, wenn er arm und abgerissen wäre und ich im Elend mit ihm leben müßte. Du dagegen hast keine Zeit zu überlegen, ob du den da oder einen anderen liebhast, weil du ihn auf alle Fälle heiraten mußt, in deinem Zustand. Und danke mußt du auch noch sagen, wenn er dich heiratet. Mir macht es nichts aus zu arbeiten, wenn ich den an meiner Seite habe, der mich liebhat.«
Beim Abendessen hielten wir den Suppenteller auf dem Schoß, ohne uns vom Feuer zu entfernen. Ich aß meine Suppe nie auf. Die Tante kippte das, was ich übrig ließ, auf ihren Teller.
»Wenn du so weitermachst, wird eine Maus aus dir rauskommen«, sagte sie.
»Es ist die Dunkelheit, die mir angst macht. Da vergeht mir die Lust zu essen. Wenn es Nacht ist, kommt man sich hier vor wie im Grab.«
»Ah, man braucht elektrisches Licht zum Essen. Das habe ich ja noch nie gehört. Man braucht elektrisches Licht.«
Nach dem Abendessen blieben Santa und die Tante noch eine ganze Weile auf und strickten. Sie strickten sich Unterhemden. Ich wurde schläfrig, blieb aber ebenfalls auf, weil ich mich fürchtete, allein die Treppe hinaufzugehen. Wir schliefen alle drei in einem Bett, in dem Zimmer unter dem Dach. Morgens stand ich als letzte auf. Die Tante ging hinunter, um die Hühner zu füttern, Santa kämmte sich und erzählte mir dabei von ihrem Verlobten. Ein bißchen schlief ich und ein bißchen hörte ich ihr zu, und ich sagte zu ihr, sie solle meine Schuhe putzen. Sie putzte sie und achtete darauf, daß die Tante nicht hereinkam, denn die Tante wollte nicht, daß ich mich bedienen ließ.
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