Die Straße in die Stadt
Und währenddessen erzählte sie mir weiter ihre ganzen Geschichten. Sie sagte: »Ich heiße Santa, aber ich bin keine Heilige.« Sie sagte, sie sei keine Heilige, weil ihr Verlobter sie umarmte, wenn er auf Urlaub kam, und sie zusammen ausgingen.
Manchmal spazierte ich etwas im Gemüsegarten auf und ab, weil die Tante sagte, eine Schwangere dürfe nicht immer nur sitzen. Sie schob mich zur Tür hinaus. Der Gemüsegarten war von einer Mauer umgeben, und durch ein Holztor gelangte man ins Dorf. Doch ich öffnete dieses Tor nie. Ich konnte das Dorf vom Fenster unseres Zimmers aus sehen, und es hatte nichts Einladendes. Ich wanderte vom Tor zum Haus, vom Haus zum Tor. Auf der einen Seite waren die Stöcke für die Tomaten, auf der anderen waren Kohlköpfe angepflanzt. Ich mußte aufpassen, nichts zu zertreten. »Paß auf den Kohl auf«, schrie die Tante, den Kopf zum Fenster herausstreckend. Im Garten lag überall Schnee, und meine Füße wurden eiskalt. Welcher Tag war denn? Welcher Monat? Was machten sie zu Hause? Und war Giulio noch in der Stadt? Ich wußte nichts mehr. Ich wußte nur, daß mein Körper wuchs und wuchs und die Tante mir schon zweimal mein Kleid weiter gemacht hatte. Je breiter und runder mein Körper wurde, um so kleiner, häßlicher und angespannter wurde mein Gesicht. Ich betrachtete mich immer im Spiegel über der Kommode. Es war seltsam anzusehen, wie mein Gesicht geworden war. »Es ist besser, daß mich niemand sieht«, dachte ich. Aber es verbitterte mich, daß Giulio mir nicht geschrieben hatte und nie zu Besuch gekommen war.
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E
inmal kam dagegen Azalea. Es war Nachmittag. Sie trug den berühmten Pelzmantel und einen sehr seltsamen Hut mit drei Federn auf der Vorderseite. In der Küche saß Santa mit ein paar kleinen Mädchen, die von ihr Häkeln lernten. Azalea sah niemandem ins Gesicht, sondern ging die Treppe hinauf und sagte zu mir, sie wolle allein mit mir sprechen. Sie öffnete die erstbeste Tür, die sie sah, und wir fanden die Tante, die sich etwas hingelegt hatte, ohne Kleid, in ihrem schwarzen Unterrock, und der graue Zopf fiel ihr auf die Schultern. Als sie Azalea erkannte, erhob sich die Tante ganz verängstigt und aufgeregt und begann, ihr tausend Komplimente zu machen, als erinnere sie sich gar nicht mehr an all das, was sie über sie gesagt hatte. Sie wollte hinuntergehen, um ihr einen Kaffee zu kochen. Doch Azalea antwortete schroff, sie wolle keinen Kaffee, sie wolle etwas mit mir allein sein, weil sie gleich wieder weg müsse. Also ging die Tante hinaus, und wir blieben allein, und Azalea fragte mich, ob es mir sehr schlecht gehe.
»Du bist schon ziemlich dick«, sagte sie zu mir, »ich habe den Eindruck, an dem Tag, an dem sie dich in die Kirche bringen, wirst du aussehen wie ein Ballon.«
Und sie erzählte mir, daß Giulios Vater noch einmal gekommen sei, um Geld anzubieten, wenn nur nicht mehr die Rede von Heirat wäre. Zu Hause habe es einen Mordskrach gegeben, und er sei erschrocken weggegangen mit der Versicherung, sie hätten ihn falsch verstanden und er sei sehr zufrieden mit allem. Dann sagte sie, daß ich auch nach der Hochzeit noch eine Weile bei der Tante bleiben würde, bis das Kind auf die Welt kam, damit im Dorf nicht so viel geredet würde. Und sie sagte, daß Giulios Mutter eine geizige Alte sei, die dem Dienstmädchen nichts zu essen gebe und jeden Tag die Bettwäsche zähle vor Angst, man könne sie ihr stehlen, und wenn ich dann mit ihr zusammenwohnen müßte, sei ich nicht zu beneiden.
»Aber Giulio hat gesagt, wir werden allein in der Stadt wohnen.«
»Hoffen wir’s, daß ihr allein wohnen werdet. Denn wenn du zu ihr ziehen mußt, wird sie dir das Leben schwermachen.«
»Sag Giovanni, er soll mich besuchen kommen«, sagte ich zu ihr.
»Ich werde es ihm bestellen, aber wer weiß, ob er kommt. Er ist mit einer Frau beschäftigt.«
»Antonietta?«
»Ich weiß nicht, wer sie ist. Eine Blonde, die vorher der Nini hatte. Sie gehen eng umschlungen auf dem Corso spazieren. Aber sie ist schon ziemlich alt und nicht viel wert.«
»Sag auch dem Nini, daß er mich besuchen soll. Ich langweile mich.«
»Den Nini sehe ich schon länger nicht mehr. Wenn ich ihn finde, werde ich es ihm ausrichten. Ich komme noch ein paarmal, aber du weißt ja, ich habe nicht viel Zeit. Der läßt mir keine Minute. Kommt dauernd und pfeift unter den Fenstern und macht mir Zeichen: Es ist ein Skandal.«
»Ist es immer noch der Student?« fragte ich.
»Was
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