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Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalia Ginzburg
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sieht man schöne Sachen. Ich gehe oft, weil Antonietta den Besitzer kennt und sie uns billiger reinlassen.«
    Er fuhr mit großem Getöse los und hinterließ eine Rauchwolke.
    Die Tante und Santa unterhielten sich noch weiter über das Gespenst, sie redeten den ganzen Abend darüber und erzählten auch von einer Nonne, die immer am Brunnen erschien und die Santa einmal gesehen hatte, bis ich auch Angst bekam. Im Bett konnte ich nicht einschlafen und dachte dauernd an die Nonne. Ich weckte Santa, zog sie am Arm, aber sie drehte sich zur anderen Seite und brummte irgendwas. Ich stand auf und ging barfuß zum Fenster und dachte an den Nini, der mit zerzaustem Haarschopf in seinem Zimmer trank und rasch die Flasche wegstellte, wenn Giovanni eintrat. Ich bekam Lust, mit Nini zu reden und ihm zu sagen, daß ich vor der Nonne und vor den Gespenstern Angst hatte, und ihn lachen und mich hänseln zu hören, wie er es früher tat. Aber konnte er überhaupt noch lachen? Vielleicht lachte er nicht mehr und war wie verrückt geworden vom Trinken. Da kamen mir die Tränen, und ich begann zu weinen und zu schreien, im Nachthemd aufrecht mitten im Zimmer, die Hände vors Gesicht geschlagen. Die Tante erwachte und sprang aus dem Bett, zündete eine Kerze an und fragte mich, was mir passiert sei. Ich sagte ihr, ich fürchtete mich. Sie sagte, ich solle aufhören mit den Dummheiten und mich wieder ins Bett legen und schlafen.
    Santas Verlobter kam auf Urlaub, ein großer Kerl mit terracottafarbenem Gesicht, der sich beim Sprechen schämte. Santa fragte mich, ob mir ihr Verlobter gefiele.
    »Nein«, antwortete ich.
    »Vielleicht gefallen dir nur Männer mit Schnauzbart«, sagte sie.
    »Nein«, erwiderte ich, »es gibt auch welche ohne Schnauzbart, die mir gefallen.« Und ich dachte an Nini, und wieder bekam ich Lust, mit ihm zusammenzusein, weit weg von Santa und der Tante, am Fluß zu liegen mit meinem blauen Kleid, das ich im Sommer trug. Ich hätte gern gewußt, ob er mich immer noch so liebhatte. Aber jetzt war ich so häßlich und komisch, daß ich mich geschämt hätte, ihm unter die Augen zu treten. Ich schämte mich sogar vor Santas Verlobtem.

 

     
     
-

    S
    anta war wütend auf mich, weil ich ihr gesagt hatte, daß mir ihr Verlobter nicht gefiel. Mehrere Tage lang redete sie nicht mit mir, bis ich sie einmal rufen und um Verzeihung bitten mußte, weil ich ihre Hilfe brauchte, um mir die Haare zu waschen. Sie setzte Wasser auf und brachte es mir, und sie küßte mich und war gerührt und sagte, wenn ich abreisen würde, könne sie sich gewiß nicht mehr daran gewöhnen, ohne mich auszukommen. Und sie wollte, daß ich ihr verspreche, ab und zu zu schreiben.
    Die Sonne schien ein wenig, und ich setzte mich in den Garten, um meine Haare zu trocknen, mit einem Handtuch auf den Schultern. Plötzlich sah ich, wie sich das Gartentor öffnete und Nini hereintrat.
    »Wie geht’s?« sagte er. Er sah immer noch genauso aus, mit Regenmantel und schiefem Hut, den Schal um den Hals geworfen, aber er hatte einen zerstreuten, unsympathischen Ausdruck, und ich wußte nicht, was ich zu ihm sagen sollte. Und außerdem mißfiel es mir zu sehr, daß er sah, wie ich geworden war. Er sagte, ich solle aus dem Garten herauskommen und draußen mit ihm Spazierengehen, weil er keine Lust habe, mit der Tante reden zu müssen. Ich nahm das Handtuch ab und folgte ihm nach draußen, und wir wanderten eine Weile auf dem harten, gefrorenen Schnee über die kahlen Weinberge.
    »Wie geht’s?« sagte ich zu ihm.
    »Schlecht«, antwortete er. »Im Februar heiratest du?«
    »Ja, im Februar.«
    »Kommt Giulio oft hierher?«
    »Nein. Er war noch nie da.«
    »Und bedauerst du es, daß er nie kommt?«
    Ich antwortete nicht, und er blieb vor mir stehen und sah mir tief in die Augen.
    »Nein, du bedauerst es nicht. Nicht einmal an ihm liegt dir etwas. Eigentlich müßte ich froh darüber sein. Aber es tut mir nur noch mehr weh. Wenn man darüber nachdenkt, ist es eine so dumme Geschichte. Es lohnte sich nicht, sich weiter zu quälen.«
    Erneut blieb er stehen und wartete, daß ich etwas sagte.
    »Weißt du, daß ich jetzt allein lebe?«
    »Ja, ich weiß es.«
    »Es geht mir gut allein. Oft spreche ich tagelang mit niemandem ein Wort. Ich komme aus der Fabrik und gehe sofort in mein Zimmer, wo ich meine Bücher habe und keiner da ist, der mich stört.«
    »Hast du ein schönes Zimmer?« fragte ich ihn.
    »Ach was.«
    Ich rutschte aus und er stützte mich mit seinem

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