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Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalia Ginzburg
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Arm.
    »Vielleicht interessiert es dich, zu erfahren, ob ich noch in dich verliebt bin. Nein, ich glaube, ich bin nicht mehr verliebt.«
    »Das freut mich«, sagte ich. Aber es stimmte nicht, und ich fühlte mich vielmehr so traurig, daß es mich Mühe kostete, nicht zu weinen.
    »Als ich letztes Mal zu dir kam, nachdem sie mir gesagt hatten, du seist krank, wollte ich dich fragen, ob du mich heiraten möchtest. Ich weiß nicht, wie ich auf diesen absurden Gedanken gekommen bin. Bestimmt hättest du nein gesagt, gelacht oder dich aufgeregt, aber ich hätte nicht so viel gelitten. Worunter ich gelitten habe, das war zu wissen, daß du ein Kind bekommst, daß du, mit diesem Gesicht, mit diesen Haaren, mit dieser Stimme ein Kind bekommen und es vielleicht liebhaben wirst, daß du vielleicht nach und nach eine andere wirst, und was werde ich dir dann noch bedeuten? Mein Leben wird sich nicht ändern, und ich werde weiter in die Fabrik gehen, im Sommer am Fluß baden, meine Bücher lesen. Früher war ich immer zufrieden, ich sah mir gern die Frauen an, schlenderte gern durch die Stadt, kaufte mir gern Bücher und dachte dabei an viele Dinge und kam mir sehr gescheit vor. Es hätte mir gefallen, wenn wir zusammen ein Kind gehabt hätten. Aber ich habe dir nie gesagt, wie lieb ich dich hatte, nicht einmal das. Ich hatte Angst vor dir. Was für eine dumme Geschichte das gewesen ist. Es hat keinen Zweck zu weinen«, sagte er, als er mich mit Tränen in den Augen sah. »Wein nicht. Es macht mich wütend, dich weinen zu sehen. Ich weiß, daß es dir egal ist. Jetzt weinst du, aber dann ist es dir egal.«
    »Du machst dir ja jetzt auch nichts mehr aus mir«, sagte ich zu ihm.
    »Nein«, erwiderte er. Es wurde allmählich dunkel. Er begleitete mich zurück bis zum Gartentor.
    »Ade«, sagte er zu mir, »warum hast du mir ausrichten lassen, daß ich herkommen soll?«
    »Weil ich dich sehen wollte.«
    »Wolltest du sehen, wie es um mich steht? Gut steht’s um mich«, sagte er zu mir, »ich trinke nur noch.«
    »Getrunken hast du doch schon immer.«
    »Nicht so wie jetzt. Ade. Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt. Ich habe dir gesagt, ich hätte dich nicht lieb. Das stimmt nicht, ich habe dich immer noch lieb.«
    »Obwohl ich jetzt so häßlich bin?«
    »Ja«, sagte er und lachte. »Aber du bist wirklich häßlich geworden. Ade, ich gehe.«
    »Ade«, sagte ich zu ihm.
    Ich fand Santa weinend in der Küche, weil Vincenzo ihr beim Abschied gesagt hatte, daß seine Familie sich ihrer Hochzeit widersetzte. Sie wollten ein anderes Mädchen mit Geld. Er hatte versprochen, sie trotzdem zu heiraten, aber die Tante sagte, er würde sich gewiß nicht dazu entschließen. Die Tante fragte mich, wo ich gewesen sei. Ich sagte ihr, daß ich mit Nini spazierengegangen war.
    »Ah, der Nini. Hätte mir ruhig guten Tag sagen können. Ich habe seine Mutter sterben sehen.«
    Santa wollte nicht zu Abend essen.
    »Du bist wirklich dumm«, sagte die Tante zu ihr, »wieso hast du es denn so eilig mit dem Heiraten? Hier zu Hause hast du alles, was du brauchst. Wenn eine Frau heiratet, fangen ihre Probleme an. Die Kinder schreien, der Mann will bedient werden, die Schwiegereltern machen ihr das Leben schwer. Wenn du Vincenzo nehmen würdest, dann müßtest du frühmorgens aufs Feld gehen und hacken und mähen, weil sie Bauern sind. Würdest schon sehen, was das für ein Spaß ist. Ein Mädchen versteht nichts vom Leben. Was gibt es Besseres für dich, als hier zu Hause bei deiner Mutter zu sein?«
    »Ja, aber später?« antwortete Santa schluchzend.
    »Später? Später, du meinst, wenn ich tot bin? Hast du es so eilig, mich sterben zu sehen? Ich werde neunzig, um dich zu ärgern«, rief die Tante und schlug ihr mit dem Rosenkranz auf den Kopf.
    »Mit deiner Cousine ist es anders«, fuhr sie nach einer Weile fort, während Santa sich die Augen trocknete. »Ihr ist ein Unglück zugestoßen. Du wirst mir doch nicht auch einen bösen Streich gespielt haben?«
    »Nein, nein, ich schwöre es.«
    »Das will ich hoffen. In meinem Haus hat man so etwas noch nie gesehen. Aber manchmal wirkt das schlechte Beispiel ansteckend, so wie bei fauligem Obst.
    Wenn Delia meine Tochter wäre, hätte ich ihr heute abend ein paar Ohrfeigen gegeben. In deinem Zustand geht man nicht mit einem jungen Mann spazieren«, sagte sie zu mir, »so wie du heute mit Nini. Egal, ob ihr zusammen aufgewachsen seid. Das können ja nicht alle wissen.«
    Ich antwortete ihr nicht, sondern begann

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