Die Straße nach Eden - The Other Eden
hör mir zu. Wir haben alle dieselben Symptome gezeigt: Fieberschübe und Albträume. Louis - Dorian - hat meine Großmutter getötet. Er hat sie in den Wahnsinn getrieben und dann vergiftet.« Ich dachte kurz nach und fügte dann hinzu: »Aber das erklärt immer noch nicht, warum ich für ihn eine Bedrohung darstelle.«
Alexander runzelte die Stirn, zugleich huschte ein Anflug von Erleichterung über sein Gesicht. »Es sei denn, er hat nie von dem Rollentausch der Zwillinge erfahren«, meinte er bedächtig. »In diesem Fall hätte er alles, was ihm von Elizabeths Leben bekannt war, auf seine Frau Eve übertragen. Er muss angenommen haben, er hätte einen Rivalen. Das, Elizabeths plötzliche Bereitschaft, ihn doch zu heiraten, und die so rasch darauf folgende Schwangerschaft hätten sogar einen besseren Mann als ihn argwöhnisch gestimmt.«
»Also hält er mich für deine Tochter. Das ist das Geheimnis, auf das er immer angespielt hat.« Ich hatte gedacht, ich hätte nichts mehr zu fürchten; jetzt erkannte ich, dass ich mich geirrt hatte. »Er will an uns Rache für das nehmen, was du und meine Mutter ihm seiner Meinung nach
angetan habt. Aber warum sollte er zugleich Angst vor uns haben…«
»Vielleicht glaubt er, wir wüssten, was er Eve angetan hat.«
»Was soll ich jetzt nur tun?«, murmelte ich, doch statt auf seine Antwort zu achten beschwor ich plötzlich ein ganz bestimmtes Bild vor meinem geistigen Auge herauf und klammerte mich daran fest. Als ich zum ersten Mal neben Alexander erwacht war, hatte ich über seine Schulter hinweg in das Sonnenlicht geblickt, das durch die Zweige eines kleinen blühenden Baumes unten im Garten gefallen war. Der Baum war mir nie zuvor aufgefallen, aber mit einem Mal meinte ich, noch nie etwas so Schönes wie ihn gesehen zu haben - eine filigrane, helles Licht versprühende baumförmige Laterne.
Ich hatte nicht zugesehen, wie das Licht erstarb, und ich weiß nicht, ob ich die Zeichen der Zeit erkannt hätte, wenn ich es getan hätte. Doch während ich in den dunklen Garten hinausblickte, wurde mir etwas klar. Das Licht mochte erlöschen, die Blüten verwelken, aber die Wurzeln meiner Liebe zu Alexander reichten so tief wie die der Bäume. So sehr er mich auch verletzte, ich würde nie aufhören, ihn zu lieben.
Schließlich rollte ich mich, Alexander den Rücken zukehrend, auf dem Bett zusammen, zu erschöpft, um ihm eine Antwort zu geben, als er mich fragte, ob er bei mir bleiben sollte oder nicht. Nach kurzem Zögern schaltete er die Nachttischlampe aus und legte sich neben mich, dann begann er mir über das Haar zu streichen - so behutsam, als fürchte er, ich könnte unter seiner Berührung zerbrechen. Wider besseres Wissen empfand ich seine Zärtlichkeit als ungemein tröstlich.
9. Kapitel
N achdem die Erschöpfung mich übermannt und ich ein paar Stunden lang tief und traumlos geschlafen hatte, tat ich für den Rest der Nacht kein Auge mehr zu. Aber ich wälzte nicht die erschütternden Fakten im Kopf herum, die an diesem Abend ans Licht gekommen waren, sondern überlegte fieberhaft, wie meine nächsten Schritte aussehen sollten. Denn in jener Nacht war mir zweierlei klar geworden: Ich war nicht bereit, Alexander aufzugeben, und wir mussten Eden so schnell wie möglich verlassen, wenn wir noch eine Chance haben wollten, unsere Liebe zu retten. Als sich der Himmel zu verfärben begann, hatte ich einen Entschluss gefasst. Wenn es sich einrichten ließ, würden wir noch heute aufbrechen.
Von all meinen Erinnerungen an Eden steht mir diese am deutlichsten vor Augen: wie ich im fahlen Licht neben Alexander lag, seinen regelmäßigen Atemzügen lauschte und mich in dem Glauben wähnte, mich endlich von der Vergangenheit befreit zu haben. Lange dachte ich, die Macht dieses Bildes rühre von dem her, was später passierte, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Bis zu jenem Morgen hatte ich mich immer von irgendjemandem oder irgendetwas lenken lassen, ob es nun zu meinem Besten war oder nicht. Ich glaubte, die Entscheidung, Eden zu verlassen, war die erste in meinem Leben, die ich als erwachsene Frau traf. Damals konnte ich sie noch nicht als das sehen, was sie wirklich war: ein verzweifelter Versuch, meine Liebe zu Alexander in eine mir vertraute Welt zu verlegen, wo sie nicht von Lug, Trug und Schein bedroht wurde.
Ich war einundzwanzig. Alexander stellte meine erste Erfahrung auf dem Gebiet der Liebe dar, Eden meinen ersten Versuch, ein Erwachsenenleben zu
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