Die Straße nach Eden - The Other Eden
dachte, die Sachen,
die neben Ihrer Mutter begraben wurden, würden Sie vielleicht lieber behalten. Abgesehen von der Notiz habe ich Ihnen hiermit alles zukommen lassen, dazu eine Kette, die die Tote um den Hals trug. Sollten Sie noch weitere Fragen haben, stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Albert E. Rushworth
»Lass mich mal sehen.« Tascha nahm den Brief aus meinen zitternden Händen. Während sie ihn las, öffnete ich den roten Beutel und entnahm ihm einen tränenförmigen Rubin, der an einer Goldkette hing. Tascha legte den Brief beiseite und griff danach.
»Hast du so einen nicht auch einmal getragen?«, fragte sie.
Ich betrachtete das vergilbte Foto und dann den im Licht der Tischlampe rot glühenden Edelstein. Da ich keine Worte fand, die das ausdrücken konnten, was in mir vorging, begann ich angelegentlich die Notenblätter durchzugehen.
Es war das Stück, das Alexander auf Joyous Garde gespielt und von dem ich angenommen hatte, es sei sowohl einem Kind als auch mir gewidmet. Diese Noten waren nicht in der Mappe gewesen, die Mary aus Eden gerettet hatte.
»Ich habe diesen Anhänger vor langer Zeit verloren«, stieß ich endlich hervor.
Tascha musterte mich forschend, doch ich konnte ihr heute genauso wenig wie früher vom Gesicht ablesen, was sie dachte. Dann lächelte sie. »Komm, ich lege dir die Kette um.«
Sie befestigte die Goldkette um meinen Hals, dann drehte sie mich so, dass ich mich im Spiegel sehen konnte. Zu meiner Überraschung glitzerten Tränen in meinen Augen. Tascha küsste mich auf die Wange, dann zog sie sich nach oben zurück.
Ich griff nach der Rose. Die Blüte war so gut erhalten, dass man denken könnte, sie wäre gerade frisch gepflückt worden, solange man sie nicht berührte. Ein unvergängliches Unterpfand meiner Liebe…
Erschauernd ließ ich sie auf den Tisch fallen, dann nahm ich die Noten und ging durch die schmalen Flure des Stadthauses zu dem Raum im hinteren Teil, den ich am Tag meiner Rückkehr aus Eden’s Meadow abgeschlossen und seither nicht mehr geöffnet hatte. Alles war so geblieben wie damals: die Möbel aus einer anderen Zeit, die auf dem Tisch verstreuten Papiere, das stumme Klavier in der Ecke. Ich setzte mich auf die noch immer auf meine Größe eingestellte Bank, griff nach dem angelaufenen Ring, der auf dem Notenständer lag, steckte ihn an und stellte die Notenblätter auf den Ständer. Meine Finger fanden ihre Plätze auf den Tasten wie von selbst, als wäre ich gerade eben erst von dem Instrument aufgestanden.
Das Klavier war verstimmt und ich aus der Übung, aber das machte nichts: Ich hörte die Musik so klar und deutlich, wie ich sie an jenem alkoholumnebelten Abend in Dorians Musikzimmer zum ersten Mal gehört hatte. Aber in diesem Punkt hatte ich mich geirrt, wie ich nun wusste. Ich hatte das Stück ohne Zweifel schon viel früher einmal gehört; ein Schlaflied, gespielt von einem Mann, der nicht mein Vater war, mit dem mein Leben jedoch damals schon untrennbar verbunden war.
Die Noten verschwammen vor meinen Augen, als ich den so lange zurückgehaltenen Tränen freien Lauf ließ, aber ich spielte wieder, so inbrünstig, als ob die vielen Jahre
der Verleugnung weder meiner Begabung noch meiner Liebe etwas hatten anhaben können. Während ich spielte, spürte ich, dass er den Raum betrat; wusste, dass er mich beobachtete, so wie er es in einer fernen Vergangenheit in einem lang zurückliegenden Traum getan hatte. Ich empfand seine Gegenwart so stark, dass ich beinahe vor Enttäuschung aufgeschluchzt hätte, als ich mich umdrehte und nur den dunklen, leeren Raum sah. Eine Weile saß ich still da und versuchte ihn kraft meines Willens dazu zu bringen, sich mir zu zeigen, doch in dem museumsähnlichen Raum rührte sich nichts.
Ehe ich nach oben ging, schaltete ich das Licht aus. Doch mein Ziel war nicht mein Schlafzimmer, sondern mein altes Kinderzimmer, das ich schon vor langer Zeit zu einem Arbeitszimmer umfunktioniert hatte. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, um meine Geschichte zu beenden. Aber in diesem Moment wurde mir klar, was ich schon vor Jahren hätte einsehen müssen. Es war ein Irrglaube, mir einzubilden, es sei an mir, dieses Ende niederzuschreiben. Letztendlich lässt es sich nicht zu Papier bringen, es gibt keine Worte, nicht einmal Klänge, um diese endgültige Erlösung zu beschreiben. Am Ende steht nur Stille, und ich bin bereit, mich ihr zu ergeben. Ich muss mich nur
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