Die Straße nach Eden - The Other Eden
feinen Falten durchzogen, als ich in Erinnerung hatte. Als sie hörte, dass ich mich regte, ließ sie die Nadeln fallen und sah auf. Angesichts der fast greifbaren Erleichterung, die sie durchflutete, als sich unsere Blicke trafen, war ich fast geneigt, ihr zu vergeben.
»Eleanor«, sagte sie in einem Ton, als wollten ihr hunderterlei Dinge zugleich über die Lippen sprudeln, dann
brach sie ab, weil sie scheinbar nicht die richtigen Worte fand. Endlich stieß sie hervor: »Ich bin ja so froh, dich wiederzuhaben!«
In ihren Augen schimmerten Tränen, aber von der Furcht, die während der letzten Tage fast ständig darin zu lesen gewesen war, war nichts mehr zu sehen. Ich streckte ihr eine zitternde Hand hin, sie ergriff sie und drückte sie sanft.
»Wie geht es Tascha?«, fragte ich.
»Sie hatte eine schwere Erkältung, aber zum Glück ist nichts Schlimmeres daraus geworden. Sie wird sich freuen, wenn sie hört, dass es dir besser geht.«
»Wie lange bin ich schon hier?«
»Eine Woche. Vorher warst du in Baton Rouge, aber … nun ja, man hielt es für ratsam, dich hierher zu verlegen.«
Ich atmete tief durch und wappnete mich für die nächste Frage. »Alexander?«
Jetzt rannen ihr die mühsam zurückgehaltenen Tränen doch über die pergamentdünnen Wangen. Wieder drückte sie meine Hand. »Er … sie haben keine Spur von ihm gefunden, und von … von dem anderen auch nicht. Das Haus ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Sie müssen beide in den Flammen umgekommen sein.«
Ich wiederholte die Worte im Geist; wartete darauf, dass der unvermeidbare Schmerz einsetzte, doch er blieb aus. Tatsächlich sollte es Wochen dauern, bis die durch den Schock ausgelöste Betäubung so weit nachließ, dass ich überhaupt wieder fähig war, etwas zu empfinden. Selbst dann durchlebte ich meine schlimmsten Qualen zumeist nur in Albträumen, aus denen ich schreiend und schluchzend erwachte und an die ich mich hinterher selten erinnern konnte.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Mary, die noch immer still weinte. »Wann werde ich entlassen?«
»Sie wollen dich noch eine Woche hierbehalten.«
»Ich möchte aber so schnell wie möglich raus.«
»Ich habe schon Fahrkarten nach Boston gekauft.«
»Und was soll aus Tascha werden?«
Mary hob die Schultern. »Es konnten keine Verwandten ausfindig gemacht werden.«
»Dann bleibt sie bei uns.«
Mary nickte. »Was soll mit dem Haus passieren?«
Ich zuckte zusammen. »Verkauf es. Oder verschenk es, wenn es nicht anders geht. Ich will es nie wieder sehen müssen.«
Sie strich geistesabwesend mit den Fingern über die weiche Wolle in ihrem Schoß. »Ich fahre morgen hin, um unsere Sachen zu packen.«
Ich schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich will nichts von dort haben. Nimm dir, was du willst, und verschenk den Rest an die Dienerschaft.«
Wieder nickte sie. Den Blick noch immer auf ihr Strickzeug geheftet fragte sie dann: »Was willst du mit Alexanders Sachen machen?«
Ich dachte lange darüber nach; versuchte mich zu zwingen, mir sein Bild und die Dinge ins Gedächtnis zu rufen, die für mich untrennbar mit ihm verbunden waren, aber es gelang mir nicht. Ich brachte es noch nicht einmal fertig, sein Gesicht vor meinem geistigen Auge heraufzubeschwören.
»Gib sie auch weg«, erwiderte ich endlich matt. »Alles bis auf das, was Tascha vielleicht später gern hätte.«
»Möchtest du denn gar nichts für dich behalten?«
Sie stellte mir diese Frage sehr behutsam, doch als ich in ihr tränenüberströmtes Gesicht blickte, keimte plötzlich Zorn in mir auf. Sie vermochte bereits um ihn zu trauern, während meine Versuche, an ihn zu denken, nur in einer grauen Leere endeten, was den Schmerz später noch länger anhalten lassen würde, das wusste ich.
Endlich seufzte ich. »Wenn du eine Mappe mit seinen eigenen Kompositionen findest, bring sie mir bitte mit.«
Die Vorstellung, die Noten je wieder anzusehen, geschweige denn sie zu spielen, verursachte mir Übelkeit. Aber ich ahnte, dass einmal eine Zeit kommen würde, in der ich froh darüber wäre, sie aufbewahrt zu haben - mein einziges Verbindungsglied zu einer Vergangenheit, die so bizarr war, dass ich manchmal kaum glauben mochte, dass sich all das wirklich ereignet hatte.
Wir schwiegen eine lange Weile. Dann kam mir plötzlich ein anderer Gedanke. »Habe ich wirklich nur eine Lungenentzündung?«, erkundigte ich mich zaghaft. »Oder stimmt noch etwas anderes nicht mit mir?«
Mary lief rot an und wurde
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