Die Strasse ohne Ende
könne man nicht tun. Für Druckmittel fehle jede Grundlage. Sie würden auch nichts helfen, sondern die Lage nur verschlechtern. Dies zu vermeiden aber sei seit Jahren das Ziel der französischen Kolonialpolitik. Dann wurde das Beileid der Regierung ausgesprochen. Unterschrift. Siegel. Aus! Die Antwort der Regierung fiel zusammen mit der Vermißtenmeldung der vier Personen.
Man schwieg erschrocken. Man wartete ab.
Jeder ahnte, was das bedeutete. Die Alarmstufe I blieb für alle Truppen bestehen. Die Forts wurden nachts mit doppelten Wachen versehen, die Patrouillen verstärkt.
Am Morgen glühte die Wüste wieder. Die Sonne versengte das Gras der Steppe, in den Bergen heulte der Schakal, in den Agaven spielten lärmend die Affen.
Alles war wie vor drei, dreißig, dreihundert Jahren.
Die Wüste lebte, und die Wüste schwieg.
Auf gebleichten, schroffen, kahlen Felsen lag die weiße, heilige Stadt El Hamel. Wüstensand umwehte sie. Eine Gralsburg Allahs …
Wer von der blühenden Oase Bou Saâda, der ›Stätte des Glücks‹, dieser wunderschönen Perle am Rande des Atlas, der Märchenstadt aus Tausendundeiner Nacht, hinausfährt nach Süden, auf der Straße nach Biskra, und dann nach etwa zehn Kilometern westlich abzweigt, der fährt auf einer schmalen Straße durch die Kieswüste und später über den holprigen Boden der Steppe und der beginnenden Sahara einer fast flachen Ebene zu, die erst nach zwei Stunden leicht ansteigt, um dann plötzlich den Blick auf ein rauhes Felsmassiv freizugeben, auf dem, ansteigend, wie an den Stein geklebt, die weißen, in der grellen Sonne blendenden Häuser einer Stadt stehen.
Schon von weitem sieht man die großen Gräberfelder vor der Stadt, die Gräber der Marabuts und Caids, der reichen Pilger und Wüstenfürsten. Ein steiler Weg führt in Windungen die Felsen hinauf, bis er auf einem großen Platz vor einer hohen Hausmauer endet, einem Haus mit schießschartenähnlichen schmalen Fenstern ohne Glas, dicken Mauern aus gewachsenem Fels. Es ist die Außenwand des riesigen Palastes des heiligen Marabut.
Neben ihm führt eine breite Straße ins Innere der Häuserreihen. Zwischen den flachen Dächern leuchten plötzlich sieben weiße Kuppeln auf. Ein Zauberbau, fast schwebend in der flimmernden, kochenden Luft, steht inmitten eines riesigen Platzes. Die Moschee von El Hamel. Das Heiligtum der Wüste. Die Zaouia des Marabut.
Über dem Gebetsraum im Innern, der im Hintergrund mit goldenen Gittern abgeteilt ist gegen einen kleinen, dunklen Raum, in dem auf wertvollen Teppichen der goldene Sarg des Marabut steht, über diesem großen, durch Säulen abgestützten Kuppelraum wölbt sich eine bezaubernde Glasglocke aus kunstvoll bemalten Scheiben, durch die die Sonne Afrikas, gebrochen und in allen Farben spielend, auf die geflochtenen Bastmatten scheint. Diese Bastmatten bedecken die ganze innere Fläche des Raumes. Sie dürfen nur mit nackten, gewaschenen Füßen betreten werden, denn wer die Matten betritt, steht vor Allah! Eine kleine Nische in der Mauer zeigt die Richtung Osten an – Mekka, die Hochburg des Islams, zu der alle Gebete gehen und alle Sehnsüchte der armen Pilger, die nur bis El Hamel kommen.
Von den Säulen hängen Lampen in den Raum. Moderne Glühbirnen erhellen ihn, aber sie sind verhängt mit den jahrhundertealten Perlschnüren, die man in jeder Moschee wiederfindet. Sonst ist der Raum kahl; nur die Wände, die Säulen und die Zwischenstücke sind kunstvolle Bildhauerarbeit und verziert mit breiten Mosaiken, die sich von Wand zu Wand ziehen.
Hinter der Moschee beginnt der zweite Platz der rahmanischen Bruderschaft. Hier leben in einem langgestreckten, flachen Gebäude über zweihundert Klosterschüler, die im Schreiben, Lesen und Beten ausgebildet werden und den Priesternachwuchs Nordafrikas darstellen. Unter niedrigen Büschen sitzen sie in der Sonne und schreiben auf großen Pergamenttafeln die Suren des Korans ab, oder sie hocken in den großen Lehrhallen und lauschen den Worten der alten Priester, die in quadratischen Häusern rund um die Moschee auf den Felsen wohnen.
Noch nie ist es einem Weißen geglückt, in diese heiligen Bezirke einzudringen, noch nie gelangen ihm Fotos von den heiligen Stätten, den Schülern und den Priestern. Er hätte es mit dem Tode bezahlt, denn die Entweihung Allahs durch einen Ungläubigen ist nur mit Blut zu sühnen.
Vier Tage, nachdem eine kleine Autokolonne nach El Hamel kam und in der Nacht ein Araber und ein
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