Die Strasse ohne Ende
dieses stille, madonnenhafte Mädchen aus Berlin.
Sie lachte ihr Spiegelbild an. Alle Bitterkeit lag in diesem Lachen. Dann riß sie die Koffer aus dem Schrank und begann zu packen.
Dr. van Behl überraschte sie dabei. Er fragte nicht lange, er verstand sofort. »Morgen früh geht eine Maschine nach Algier«, sagte er und blickte an die Decke. »Eine außerplanmäßige Maschine, mit der der deutsche Konsul geflogen ist. Sie könnten sie mitbenutzen.«
»Danke.« Sie warf die Locken in den Nacken. »Aber ich will nicht nach Algier – ich will in die Wüste.«
»Schon möglich.« Dr. van Behl nickte. »Aber dahin können Sie nicht zu Fuß, Jacqueline. Es wird ab sofort kein Bus mehr fahren. Die Karawanen stehen unter Militärkontrolle. Es ist besser, Sie fliegen nach Algier und von dort nach Marseille. Dann sind Sie zu Hause, Jacqueline – und das Leben wird weitergehen.«
»Seien Sie still!« schrie sie hell. »Es soll nicht weitergehen – es soll zu Ende sein!«
»Wegen eines Mannes?« Dr. van Behl lächelte schmerzlich. »Das ist ein Mensch gar nicht wert. Sie nicht, ich nicht, und Dr. Handrick auch nicht.« Er trat einen Schritt vor und riß Jacqueline herum. »Sie haben doch gewußt, Jacqueline, daß alles nur eine Episode war. Oder glaubten Sie Handrick ganz fest zu haben?«
»Ja«, schrie sie.
»Dann ist es doppelt besser, wenn Sie nach Europa zurückfliegen. Europa läßt vergessen. In der Wüste vergehen Sie, und das wäre schade, Jacqueline.«
»Gehen Sie zum Teufel mit Ihrem Mitleid!« Sie riß sich los und trat gegen die Koffer. Sie fielen um und verstreuten den Inhalt über den Boden. »Was wissen Sie, wie es in mir aussieht?«
Dr. van Behl verließ ohne Antwort das Zimmer; aber auf dem Gang gab er Anweisung, Jacqueline Dumêle in das Flugzeug nach Algier zu schaffen, wenn nötig mit Gewalt. Ein arabischer Heilgehilfe bewachte die Tür.
Als der Morgen graute, saß Jacqueline auf ihren Koffern und weinte haltlos. Ihr Widerstand war gebrochen. Haß und Rache lösten sich auf in eine Flut von Tränen, die auch nicht versiegten, als Dr. van Behl sie abholte. Willenlos ließ sie die arabischen Boys gewähren, die die Koffer aufluden und die anderen Sachen zu dem kleinen Wagen trugen, der vor der Tür des Krankenhauses wartete.
Sie trat noch einmal auf den Balkon und sah auf den Garten hinunter, auf die Wege, die sie mit Dr. Handrick gegangen war, auf die weiße Holzbank, auf der sie gesessen und sich zum ersten Mal geküßt hatten, auf die Korbsessel und den runden Tisch auf der Terrasse, wo sie immer Kaffee getrunken und die Pläne für den kommenden Tag durchgesprochen hatten. Sie sah noch eine einsame Tasse auf dem Tisch stehen – es war die letzte Tasse, aus der Dr. Handrick getrunken hatte, bevor er heimlich verschwand.
Mit gesenktem Kopf trat sie hinaus und setzte sich neben den Fahrer. Sie blickte nicht zurück, als der Wagen abfuhr. Sie sah nicht mehr Dr. van Behl winken. Sie starrte auf die staubende Straße und schloß dann die Augen.
Der Flugplatz von Laghouat, ein Militärflugplatz, war nicht weit. Die Maschine des deutschen Konsuls wartete schon.
Jacqueline Dumêle ging zurück in die große Welt, aus der sie gekommen war. Ein Stern, der kurz aufleuchtete und die Kraft in sich hatte, Schicksal zu werden, und der verblaßte, als der Schein einer großen Liebe über den Horizont stieg und alles andere überstrahlte.
In der Nacht, bevor sie abflog, glich das Krankenhaus einem Tollhaus. Dr. van Behl kabelte mit allen Dienststellen in der Wüste und mit seiner Vorgesetztenstelle.
Die Forts rückten aus.
In Laghouat informierte sich Konsul Herbert von Eichhagen über die Lage und flog am frühen Morgen zornentbrannt nach Algier zurück. Er protestierte beim Generalresidenten gegen die Aufgabe eines deutschen Mädchens aus Staatsrücksichten.
Am selben Vormittag noch ging ein Telegramm nach Paris an das Außen- und Kolonialministerium. Mit ernsten Gesichtern wurde es gelesen, mit ernsten Mienen wurde die Antwort beraten und entworfen. Am Abend hielt Eichhagen die Antwort in Händen.
Um einen Generalaufstand der Mohammedaner zu vermeiden, müsse damit gerechnet werden, daß das deutsche Mädchen verloren sei. Es sei unmöglich, El Hamel mit Gewalt zu durchsuchen. Die Freundschaft des Marabut und die Ruhe in Algerien könnten unter keinen Umständen angetastet werden. Man werde selbstverständlich sofort in El Hamel intervenieren und die Herausgabe des Mädchens verlangen; mehr aber
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