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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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Morcheln und legten sie zum Einweichen in einen Topf Wasser. Bis das Feuer brannte, war es dunkel, und zum Essen schnitt er auf einem Baumstamm eine Handvoll Pilze in Scheiben, gab sie zusammen mit der Speckschwarte aus einer Dose Bohnen in eine Bratpfanne und setzte sie zum Köcheln in die Glut. Der Junge sah ihm zu. Das ist ein guter Platz, Papa, sagte er.
     
     
    Sie aßen die kleinen Pilze zusammen mit den Bohnen und tranken dazu Tee. Zum Nachtisch gab es Birnen aus der Dose. Er schob die Glut des Feuers gegen den Felssaum, an dem er es entzündet hatte, spannte die Plane hinter ihnen aus, damit sie die Hitze reflektierte, und dann saßen sie in ihrem Unterschlupf im Warmen, während er dem Jungen Geschichten erzählte. Alte Geschichten von Mut und Gerechtigkeit, wie er sie in Erinnerung hatte, bis der Junge zwischen seinen Decken eingeschlafen war; dann schürte er das Feuer, legte sich gewärmt und gesättigt nieder und lauschte dem leisen Tosen des Wasserfalls vor ihnen, in jenem dunklen, schütteren Wald.
     
     
    Am Morgen marschierte er auf dem Flusspfad stromabwärts. Der Junge hatte recht: Es war ein guter Platz, und er wollte die Gegend auf Spuren anderer Besucher überprüfen. Er fand nichts. Erblieb an einer Stelle stehen, wo sich der Fluss im Bogen in einen Gumpen warf und Wirbel und Strudel bildete. Er ließ einen weißen Stein ins Wasser fallen, der so plötzlich verschwand, als wäre er verschluckt worden. Er hatte einmal an einem solchen Fluss gestanden und das Aufblinken von Forellen tief in einem Gumpen beobachtet, das in dem teefar-benen Wasser nur auszumachen war, wenn ihre Leiber beim Fressen zur Seite schnellten. Und tief im Dunkel die Sonne widerspiegelten, wie ein Aufblitzen von Messerklingen in einer Höhle.
     
    Wir können nicht bleiben, sagte er. Es wird jeden Tag kälter. Und der Wasserfall ist ein Anziehungspunkt. Er war es für uns, und er wird es auch für andere sein. Wir wissen nicht, wer das sein wird, und wir können sie nicht kommen hören. Es ist gefährlich.
    Einen Tag könnten wir noch bleiben.
    Es ist gefährlich.
    Vielleicht könnten wir ja eine andere Stelle am Fluss fin- den.
    Wir müssen weiter. Wir müssen weiter in Richtung Süden.
    Verläuft der Fluss in Richtung Süden?
    Nein.
    Kann ich ihn mal auf der Karte sehen?
    Ja. Ich hole sie schnell.
    Die zerfledderte Straßenkarte der Ölgesellschaft war einmal zusammengeklebt gewesen, doch nun bestand sie nur noch aus einzelnen Blättern, die an den Ecken mit Buntstift nummeriert waren, damit sie sich richtig zusammensetzen ließ. Er durchblätterte die schlaffen Seiten und legte diejenigen aneinander, die sich auf ihren Standort bezogen.
    Da gehen wir über eine Brücke. Sieht aus, als wären es bis dahin noch ungefähr zwölf Kilometer. Das da ist der Fluss. Er fließt nach Osten. Wir folgen der Straße hier entlang dem Osthang der Berge. Das sind unsere Straßen, die schwarzen Linien auf der Karte. Die Staatsstraßen.
    Warum heißen sie Staatsstraßen?
    Weil sie früher den Staaten gehört haben. Dem, was früher Staaten hieß.
    Aber Staaten gibt es jetzt nicht mehr?
    Nein.
    Was ist mit ihnen passiert?
    Das weiß ich nicht genau. Das ist eine gute Frage.
    Aber die Straßen gibt es noch.
    Ja. Noch eine Zeit lang.
    Wie lange?
    Ich weiß nicht. Vielleicht noch eine ganze Zeit lang. Groß beansprucht werden sie ja nicht mehr, also werden sie es wohl noch eine Zeit lang tun.
    Aber Autos und Lastwagen fahren keine mehr darauf.
    Nein.
    Okay.
    Bist du so weit?
    Der Junge nickte. Er wischte sich an seinem Ärmel die Nase und schulterte seinen kleinen Rucksack, der Mann verstaute die Kartenteile und stand auf, und der Junge folgte ihm durch das graue Pfahlwerk der Bäume auf die Straße hinaus.
     
     
    Auf der Brücke, die unter ihnen in Sicht kam, hatte sich ein Sattelzug quergestellt und zwischen den verbogenen Geländern verkeilt. Es regnete wieder, und sie standen da, während der Regen leise auf die Plane pladderte. Spähten unter dem blauen Dämmer des Kunststoffs hervor.
    Kommen wir außen rum?, fragte der Junge.
    Ich glaube nicht. Aber wahrscheinlich drunter durch. Vielleicht müssen wir den Wagen ausladen.
     
    Die Brücke querte den Fluss über einer Stromschnelle. Sie konnten das Tosen hören, als sie um die Kurve in der Straße bogen. Die Schlucht herab kam ein Windstoß, und sie zogen die Ecken der Plane um sich und schoben den Wagen auf die Brücke. Durch die Stahlkonstruktion hindurch konnten sie den Fluss

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