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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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einer Betonbrücke überquerten sie einen Fluss, in dessen Strömung langsam Schlamm-und Ascheschlieren dahintrieben. Verkohlte Holzstücke. Am Ende blieben sie stehen, machten kehrt und kampierten unter der Brücke.
    Er hatte seine Brieftasche bei sich getragen, bis sie ein winkelförmiges Loch in seine Hose gewetzt hatte. Dann hatte er sich eines Tages an den Straßenrand gesetzt, sie gezückt und den Inhalt gemustert. Etwas Geld, Kreditkarten. Sein Führerschein. Ein Foto von seiner Frau. Er legte alles auf dem Asphalt aus. Wie Spielkarten. Er warf das schweißdunkle Stück Leder in den Wald und behielt das Foto in der Hand. Dann legte er es ebenfalls auf die Straße, stand auf, und sie gingen weiter.
     
    Am Morgen blickte er im Liegen zu den Lehmnestern auf, die Schwalben in den Winkeln unter der Brücke gebaut hatten. Er sah den Jungen an, doch dieser hatte sich abgewandt und starrte auf den Fluss hinaus.
    Wir hätten nichts tun können.
    Der Junge gab keine Antwort.
    Er wird sterben. Wir können das, was wir haben, nicht mit ihm teilen, sonst sterben wir auch.
    Ich weiß.
    Wann redest du denn nun wieder mit mir?
    Jetzt rede ich doch.
    Bist du sicher?
    Ja.
    Okay.
    Okay.
     
    Sie standen am anderen Ufer eines Flusses und riefen ihm etwas zu. Zerlumpte Götter, die in ihren Fetzen über die Einöde schlurften. Über den ausgetrockneten Boden eines Mineralmeers wanderten, der rissig und zersprungen war wie ein heruntergefallener Teller. Im eingedickten Sand Pfade von wildem Feuer. Die Gestalten verschwanden in der Ferne. Er wachte auf und lag im Dunkeln.
     
    Die Uhren blieben um 1 Uhr 17 stehen. Eine lange Lichtklinge, gefolgt von einer Reihe leiser Erschütterungen. Er stand auf und trat ans Fenster. Was ist das?, fragte sie. Er gab keine Antwort. Er ging ins Bad und betätigte den Lichtschalter, aber der Strom war bereits ausgefallen. Im Fensterglas ein stumpfer, rosiger Schimmer. Er ließ sich auf ein Knie nieder, drückte den Hebel, der den Abfluss der Badewanne verschloss, und drehte beide Hähne bis zum Anschlag auf. Sie stand im Nachthemd in der Tür, klammerte sich am Türpfosten fest, hielt sich mit einer Hand den Bauch. Was ist das?, fragte sie. Was ist los?
    Ich weiß nicht.
    Warum nimmst du ein Bad?
    Ich nehme kein Bad.
     
    Einmal in diesen ersten Tagen war er in einem öden Wald erwacht und hatte im Liegen Schwärmen von Zugvögeln in der bitteren Dunkelheit über ihm gelauscht. Ihr gedämpftes Kreischen in mehreren Kilometern Höhe, wo sie die Erde ebenso sinnlos umkreisten wie Insekten, die den Rand einer Schüssel entlangwimmeln. Er wünschte ihnen gute Reise, bis sie fort waren. Er hörte nie wieder welche.
     
     
    Er hatte ein Spiel Karten, das er in einer Schreibtischschublade in einem Haus gefunden hatte. Die Karten waren speckig und abgegriffen, und die Kreuz-Zwei fehlte, aber trotzdem spiel-ten sie manchmal, in ihre Decken gehüllt, im Licht des Feu-ers. Er versuchte, sich an die Regeln von Kinderspielen zu erinnern. Old Maid. Irgendeine Version von Whist. Er war sich sicher, dass er sie größtenteils falsch in Erinnerung hatte, und er erfand neue Spiele und gab ihnen erfundene Namen. Verrückter Schwingel oder Katzenkotze. Manchmal stellte ihm der Junge Fragen nach der Welt, die für ihn nicht einmal eine Erinnerung war. Er dachte angestrengt darüber nach, wie er antworten sollte. Es gibt keine Vergangenheit. Was hättest du denn gerne? Aber er hörte auf, Dinge zu erfinden, weil auch das Erfundene nicht stimmte und sich beim Erzählen sein Gewissen regte. Der Junge hatte seine eigenen Phantasien. Wie es im Süden sein würde. Andere Kinder. Er versuchte ihn zu bremsen, aber nur halbherzig. Wie auch anders?
     
     
    Keine Listen von Dingen, die zu erledigen waren. Der Tag nicht über sich selbst hinausweisend. Die Stunde. Es gibt kein Später. Das ist das Später. Alles Anmutige und Schöne, das einem am Herzen liegt, hat einen gemeinsamen Ursprung im Schmerz. Wird aus Trauer und Asche geboren. So, flüsterte er dem schlafenden Jungen zu. Ich habe dich.
     
    Er dachte an das Foto auf der Straße und dass er irgendwie hätte dafür sorgen müssen, dass sie bei ihnen blieb, aber er wusste nicht, wie. Er erwachte hustend und entfernte sich ein Stück, um das Kind nicht zu wecken. Folgte, in seine Decke gehüllt, im Dunkeln einer Steinmauer und kniete sich wie ein Büßer in die Asche. Er hustete, bis er das Blut schmecken konnte, und sagte laut ihren Namen. Er dachte, er habe ihn

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