Die Straße
sehen. Unterhalb der Stromschnelle befand sich eine auf Kalksteinpfeilern ruhende Eisenbahnbrücke. Die Steine der Pfeiler waren noch ein ganzes Stück über dem Fluss vom Hochwasser verfärbt, und in der Flussbiegung hatten sich große Wälle aus schwarzen Ästen, Buschwerk und Baumstämmen aufgestaut.
Der Lastzug stand schon seit Jahren da, die Reifen waren platt und unter den Felgen zusammengeschrumpelt. Die Vorderseite der Zugmaschine war gegen das Brückengeländer geknautscht, und der Auflieger hatte sich nach vorn von der Sattelkupplung geschoben und in die Rückseite der Fahrerkabine gequetscht. Der Auflieger war ausgeschert, hatte das Geländer auf der anderen Brückenseite durchbrochen und ragte mehrere Meter über die Schlucht. Er schob den Wagen unter den Auflieger, aber der Griff klemmte sich fest. Sie würden ihn seitlich darunter durchschieben müssen. Er ließ ihn, mit der Plane abgedeckt, im Regen stehen, sie schoben sich im Entengang unter den Auflieger, wo der Junge zusammengekauert im Trockenen zurückblieb, während er sich auf die Trittstufe stellte, das Wasser von der Scheibe wischte und in die Fahrerkabine spähte. Er stieg wieder hinunter, griff nach oben, öffnete die Tür, kletterte hinein und zog die Tür hinter sich zu. Er blickte sich um. Hinter den Sitzen eine hundehüttengroße Schlafmsche. Auf dem Boden Papiere. Das Handschuhfach war offen, aber leer. Er kletterte nach hinten zwischen die Sitze. Auf der Koje lag eine nackte, feuchte Matratze vor einem kleinen Kühlschrank mit offenstehender Tür. Ein Klapptisch. Auf dem Boden alte Zeitschriften. Er durchstöberte die Sperrholzspinde unter dem Wagendach, aber sie waren leer. Unter der Koje befanden sich Schubladen, und er zog sie heraus und durchwühlte den Müll. Er kletterte wieder nach vorn, setzte sich auf den Fahrersitz und blickte durch das langsam die Scheibe hinabrinnende Wasser den Fluss entlang. Auf dem Metalldach das dünne Trommeln des Regens, und auf alles senkte sich langsam Dunkelheit.
In dieser Nacht schliefen sie im Lastwagen, und am Morgen hatte es zu regnen aufgehört, sie entluden den Wagen, schafften alles unter dem Auflieger hindurch auf die andere Seite und luden es wieder auf. Knapp dreißig Meter die Brücke entlang sahen sie die geschwärzten Überreste von Reifen, die dort verbrannt worden waren. Er betrachtete den Auflieger. Was meinst du, was ist da drin?, sagte er.
Ich weiß nicht.
Wir sind nicht die Ersten hier. Also wahrscheinlich nichts.
Wir kommen sowieso nicht rein.
Er legte das Ohr an die Seitenwand des Aufliegers und schlug mit der flachen Hand gegen das Blech. Es hört sich leer an, sagte er. Wahrscheinlich kommt man vom Dach aus rein. Sonst hätte schon längst jemand ein Loch in die Seitenwand geschnitten.
Womit denn?
Da hätte sich schon was gefunden.
Er zog seinen Parka aus, legte ihn auf den Wagen, stieg über den Stoßfänger der Zugmaschine auf die Motorhaube und kraxelte über die Windschutzscheibe auf das Dach der Fahrerkabine. Er stand auf, drehte sich um und schaute auf den Fluss hinab. Unter seinen Füßen nasses Metall. Er schaute zu dem Jungen hinab. Der Junge machte ein besorgtes Gesicht. Er drehte sich um, bekam die obere Kante des Aufliegers zu fassen und zog sich langsam hoch. Er schaffte es kaum, obwohl es inzwischen sehr viel weniger zu ziehen gab. Er schwang ein Bein über die Kante und ruhte in dieser Haltung einen Moment lang aus. Dann zog er sich vollends hoch, wälzte sich herum und setzte sich auf.
Bei etwa einem Drittel der Gesamtlänge des Daches befand sich ein Oberlicht, das er in geducktem Gang erreichte. Die Luke fehlte, und aus dem Inneren des Aufliegers roch es nach feuchtem Sperrholz und etwas Säuerlichem, das er mittlerweile kannte. In seiner Hüfttasche steckte eine Zeitschrift, er zog sie heraus, riss ein paar Seiten davon ab, zerknüllte sie, zückte sein Feuerzeug, zündete das Papier an und ließ es in die Dunkelheit fallen. Ein leises Sausen. Er wedelte den Rauch weg und blickte in den Auflieger hinunter. Das kleine Feuer, das auf dem Boden brannte, schien weit unten. Mit der Hand beschirmte er sich die Augen gegen das grelle Leuchten und konnte so fast bis ans hintere Ende des Laderaums sehen. Menschenleiber. In jederlei Haltung hingestreckt. In ihren verrotteten Kleidern vertrocknet und verschrumpelt. Das kleine, brennende Papierknäuel verglomm zu einem Flämm-chen und zeigte, ehe es vollends erlosch, im letzten Schimmer einen
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