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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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auch für ein Mannsbild kann es nicht gleichgültig sein, ob Paris oder Landes-de-Bussac, Wien oder Groß-Gerungs, Moskau oder Kansk-Jenisseisk.
Grete Siebenschein wurde in die Geselligkeit hineingezogen, aber nicht ganz ohne ihr Zutun. Zu Oslo (das damals noch nicht lange so genannt wurde), in der Familie eines Zahnarztes, wo sie eine Zeit lang Musikstunden gegeben hatte, war ihr abgeraten worden, sich auf das Engagement in dem Sporthotel einzulassen: es verkehrten dort, so hieß es, nur Jobber, oder Schieber, wie man bei uns zu sagen pflegt. Aber ein Patient des Dentisten stellte ihr die Sache als gewissermaßen aufpulvernde Abwechslung dar. Und Grete hat sich als junge Person eigentlich vor nichts und vor niemand gefürchtet. Sie war mutig und bieder und von allzuviel Phantasie nicht geplagt, die bei den mutigen Menschen meistens schwach ist. Zudem lebte in ihr etwas, das man den Forschungstrieb nennen könnte. Wann immer sie im Auslande war, auch späterhin, hat sie stets viel gesehen, ohne mit ihren eigenen Sympathien und Antipathien dabei Federlesens zu machen. Vielleicht waren diese ebenfalls schwach. Sie paßte sich sogleich an. Sie trug sehr bald kein Körnchen mehr von der Erde des Vaterlandes an den Sohlen. Geringe Vorstellungskraft befördert das Aussetzen des Gedächtnisses. Man hat nicht dahinten im Vergangenen leuchtende und kaum berührte Örter, Altärchen einer sozusagen privaten Religion, kleine Haken im Herzen mit weit zurückreichenden Fäden daran, so daß irgendeine Vorstellungs-Verbindung oder etwas, was man gerade sieht, empfindlichen Zug ausüben kann. Das ist der Objektivität nicht förderlich. Grete war sehr objektiv und nur gelegentlich sentimental: das letztere wußte sie dann und hielt zugleich schützend eine kleine Randkluft von Ironie zwischen sich und ihren Gefühlen offen. Ihre Verfassung war derjenigen einer Dame aus dem achtzehnten Jahrhunderte verwandt – nichts liebte sie mehr als den Esprit und etwas davon eignete ihr selbst – und darum hat sie denn oft auch wirklich so ausgesehen. Ein klares, mitunter fast scharf dreinblickendes Aug', der lange Hals, die fragile Schlankheit einer keineswegs Mageren – fausse maigre nennen das die Franzosen – man wurde nicht selten bei solchem Anblick an jene Gräfin Lieven erinnert, die Frau des russischen Botschafters in London, ›la maigre Lieven‹ genannt, durch zwei Jahrzehnte die Geliebte des Staatskanzlers Clemens von Metternich; nur war die Gräfin eine Blondine gewesen. René Stangeler, der innerhalb des ganzen Galimathias, den er auf der Universität, von Gier geritten, in sich hineinstudierte, auch der österreichischen Geschichte beflissen war, hat die Lieven selbstverständlich gekannt, ja über sie sogar ein größeres Referat halten müssen. Jedoch er vermied es sorgfältig, Grete jemals von dieser Persönlichkeit etwas zu erzählen, obwohl jene sich gewiß dafür lebhaft interessiert hätte. »Ich wollte sie« (so hat er sich später einmal dem Kajetan gegenüber geäußert) »auf diesen ihren Archetypus nicht noch geradezu hinweisen.« Man kann's verstehen. Er hatt' es auch so nicht eben leicht.
Nun, wir sagten früher, »man setzte irgendwen auf ihren Platz am Klavier«, und »sie wurde in die Geselligkeit bald hineingezogen«. Am Anfang aber – setzte sie selbst (nämlich jemand anderen ans Klavier) und sie wurde in jene Gesellschaft nicht so sehr hineingezogen, als daß sie selbst in diese eintrat. Damit setzte sie zugleich auch einen sehr bezeichnenden Akt, ganz bewußt, und vollführte eine der vielen Gegenbewegungen vom Deklassiertwerden weg, welche ihre norwegischen Jahre stets begleiteten (ja, zum guten Teil ausfüllten), so wie das Wassertreten unaufhörlich ausgeführt werden muß, wenn man sich stehend und aufrecht oben halten will. Grete ist eigentlich ihr ganzes Leben hindurch mit Wassertreten in diesem Sinne beschäftigt gewesen und auch ihre hochgespannte Empfindlichkeit den Familien-Angehörigen jenes Herrn von und zu René gegenüber erklärt sich zum Teil von daher. Hier im Sporthotel aber ging es zunächst nur darum, das Gesicht zu wahren, mit zu dieser Gesellschaft (oder was es schon ge wesen sein mag) zu gehören, nicht aber als Bar-Pianistin und Tappeuse gänzlich hinters Klavier verbannt zu sein. Da man sie alsbald zum Tanzen aufforderte und sie dieses vollendet beherrschte, konnte sie eine zweite gleich anschließende Aufforderung annehmen, eine dritte schon mit dem Hinweis auf das

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