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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Vorsatz, den er ohne jede kritische Erwägung fest in sich einbaute. Eine fordernde, eine postulierende, eine fuchtelnde Natur, ein Interventionist, Einer, der kurz beiseite zu schieben versuchte, was ihn störte und empört als unerhört empfand, was ihn bremsen wollte. Mit jenem ›Interventionismus‹ hängt es zusammen, daß der Name des Doktors später in einem nah benachbarten Kreise sozusagen sprichwörtlich oder schlagwörtlich wurde – und so ist es zu jener ›Organisation Negria‹ gekommen, welche ihre Taten am Ende mit der Aktion gegen den Berliner Auto-Vertreter Helmut Biese gekrönt hat (aber das gehört nun wirklich nicht hierher!), letzteres unter der Leitung Höpfners, eines Reklame-Dichters oder Versifikators, der Mary K.s rumänischen Adorateur übrigens noch persönlich gekannt hat. Und wen hat Höpfner nicht gekannt? Er war ein Adreßbuch, eine komplette geschäftlich-gesellschaftliche Topographie von Wien (eine seiner mit dem Rittmeister von Eulenfeld gemeinsamen Eigenschaften). Zur kritischen Zeit hat der Doktor Negria einmal bei Höpfner oben – mit kurzem Zugriff von Zeit zu Zeit ein Glas Sliwowitz leerend (dazwischen lief er aufgeregt im Zimmer herum) – geäußert: »Daß diese Spinne sie eingefangen hat, ist eine für mich unerträgliche Vorstellung.« Die ›Spinne‹ war Oskar, Marys Gatte. Manchmal nannte er ihn auch ›Die Zecke Oskar‹.
    Seine Verbindung mit der Familie K. war auf einem der Tennisplätze im josephinisch-blassen Augarten entstanden und weiterhin durch die Kinderkrankheiten des Mäderls und des Buben eine häuslichere geworden; Negria befand sich am Allgemeinen Krankenhause in einer solchen Abteilung und wollte selbst merkwürdigerweise durchaus nur Kinderarzt werden. Bei seinem berühmten Chef stand der Rumäne in Ansehen und Schätzung, so daß jener sogar einmal zu Frau Mary hinaufkam, um die Kleinen in ihrem Krankenzimmer zu besichtigen. Von da ab erschien Negria dann besuchsweise. Sein Klingeln klang kurz und scharf, als schlüge man eine Scheibe ein oder als würde man aus dem Elf-Meter-Raum einen Fußball hart ins Tor schießen.
    Mary war beim Teetisch gesessen, den Blick draußen in der kaum beginnenden Dämmerung eines Nachsommer-Abends. Man sah hier eine Gasse entlang und dann über den DonauKanal (der kein Kanal ist, sondern ein erheblicher, breiter und tiefer, rasch fließender Teil des Stromes) hinüber ans andere Ufer. Von der Straße kam das Rufen der Buben beim Spiel bis hier herauf in den dritten Stock, ein allabendliches Geräusch, das durch den ganzen Sommer geleitete, soweit man ihn nicht in Pörtschach oder Millstatt verbracht hatte, ein Geräusch, das am Abend nach der Rückkehr vom Lande einen begrüßte als ein verläßlich dagebliebenes, zur Jahreszeit gehöriges, und das jetzt noch durch Wochen anhielt, denn es blieb warm, wenn auch gemäßigter: das beste Tenniswetter, wie Oskar sagte, der ›Indianersommer‹. Oskar wird in einer halben Stunde kommen. Sie denkt plötzlich an den Leutnant Melzer. Daß er recht dumm war, wußte sie damals als ganz junges Mädchen genau. Es war in Ischl gewesen, muß der Sommer 1908 oder 1909 gewesen sein, um diese Zeit war irgendeine politische Spannung mit Serbien. Daß der Leutnant Melzer sich aber, mitsamt seiner Dummheit, ihr am Ende entzog, hatte gewissermaßen diese Dummheit und damit ihre eigene Überlegenheit wieder aufgehoben, wenngleich sie gar nicht ahnungslos war in bezug auf die Hintergründe seines Rückzuges und seines Verschwindens in irgendeine Garnison dort in Bosnien unten, wo es noch Bären gab, wie er wiederholt erzählt hatte; er wollte selbst auch auf die Bärenjagd gehen. »Bringen Sie mir dann das Fell, Herr Melzer, von dem Bären, den Sie mir aufgebunden haben.« Es waren seitdem nun beiläufig vierzehn Jahre vergangen. Ihr Vater hatte in Ischl gelegentlich geäußert, daß Melzer den Dienst quittieren müsse, wenn er sie heiraten wolle. Aber: er hätte sie doch haben können, damals, ohne Zweifel. Er ist ein sehr, sehr herziger Bursch gewesen, immer ganz gleichmä ßig fröhlich und korrekt. Sorgen hat er ja keine gehabt. Später hätte sie ihn betrogen, auch das wußte sie heute. Wegen seiner Gleichmäßigkeit.
    Es gab am Ende der Gasse, welche Mary von ihrem Fauteuil aus entlang blicken konnte, einen fixen Autostandplatz. Diese Mietautos pflegten in einer langen Reihe in der Quergasse postiert zu sein, links und rechts hinter der Ecke, so daß linker Hand der vordere, rechter

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