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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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unzulänglich besetzte Klavier ablehnen und sich befriedigt und wirklich leichteren Herzens wieder hinter das Instrument zurückziehen.
Aber, solche dosierte und vernünftige Mittel und Anstalten (unsereiner hätte vielleicht fünf Stunden hinter dem Stutzflügel vor sich hin geblödet und seine Trotts gepaukt ohne sich um wen oder was zu scheren) wurden, wie so oft bei Grete, von Eruptionen ganz anderer Art durchkreuzt. Denn plötzlich, innerhalb weniger Minuten, hatte sie sich bis über beide Ohren verliebt.
Das konnte bei ihr leicht und schnell geschehen, und das erste Eigenschaftswort ist auch im Sinne einer Gewichtsbezeichnung zu verstehen: es fiel nicht schwer auf sie, es fiel sie nur heftig an. Aber die Randkluft blieb offen. Eine gewisse Reserve gesichert. Dieser hintergründige Umstand – man möchte fast sagen: als hätte sie vermöge ihres langen Halses sich immer noch fähig gefühlt, die Lage zu überblicken – ließ Grete sehr weit gehen, bei ungeminderter elementarer Echtheit der Sensationen, welche sie empfand. Es ist derartiges auch während der ersten zwei oder drei Jahre ihrer Verbindung mit dem René Stangeler noch wiederholt vorgekommen, welch letzterer, durch Gretes Anderssein eingeschüchtert und in maßlose Bewunderung versponnen, darüber in theatralisch großzügiger Weise vermeint hat, hinweggehen zu müssen. Aber die Steine, welche er da mühelos zu schlucken vorgab, lagen dann doch unverdaulich im sozusagen psychologischen Magen und am Ende lief seine heroische Geste recht trivial darauf hinaus, daß er Gleiches mit Gleichem vergalt. Zum Unglück für Grete Siebenschein gerade dann, als die bewährte Randkluft sich bei ihr, wenn auch nicht ganz, so doch beinahe schließen wollte.
Jetzt also, wieder hinter dem Klavier, erblickte sie Einen erst recht, den sie schon flüchtig gesehen hatte und von dem sie auch bereits wußte, wer er sei: ein Mann, der damals in Norwegen eine Art kleiner Berühmtheit genoß. Die Norweger sind ein mitunter beinahe hellenisch anmutendes Volk; und wenn auch aus tiefen, alten Schächten nicht selten das auftaucht, was man die nordische Häßlichkeit genannt hat, so erreichen doch Wuchs und Antlitz des Menschen in jenem Lande vielfach und so ganz nebenhin ein bedeutendes und für den Ausländer stupendes Maß der Vollkommenheit. Dieser da war einer von den ganz Kühnen, eine Größe der verschiedensten Sports, obendrein reich, und so hatte er in Paris und London die letzten provinziellen Hilflosigkeiten eines kleinen Landes vollends abgeschliffen. Dies witterte Grete sogleich, und es verengte die Randkluft merklich, besonders als sie nach einer halben Stunde wieder hinter ihrem Klavier hervorkam und nun mit jenem tanzte: der als ein bereister Mann (sogar im Himalaya) und als anerkannte Mitte des Zirkels sich der Ausländerin anzunehmen offenbar für seine Standespflicht hielt. Zudem, sie wirkte wohl exotisch, südlich, mit ihrem blauschwarzen Haar, aber nicht befremdend. Der strenge Bau des Gesichts bei makellos weißer Haut war, über alle Gegensätze der Rassen hinweg, sehr nahe benachbart einer hier vielfach anzutreffenden physiognomischen Artung.
Was nun kam, ist eine Obligat-Stimme, die wir nicht von allen ihren kleinen Anfängen an herunterraspeln wollen. Der Halbgott, welcher sich mit Grete in einem von beiden Teilen recht flüssig gesprochenen Französisch unterhielt, nahm diesen Fall neben anderen kurzerhand auch noch mit, und als die Gesellschaft sich verlaufen hatte, gingen sie zu zweit des nachts spazieren. Der Schnee lag hoch. Ohne weiteres trug unser Fliegerkapitän – das war er im Weltkrieg in englischen Diensten mit Bravour und Auszeichnung gewesen – die Grete Siebenschein streckenweise, entlang der Bahntrasse, welche unmittelbar hinter dem Hotel lief und zum Schutze gegen Schneeverwehungen mit einer Art hölzerner Tunnels eingedeckt war. Wir dürfen annehmen, daß sie sich gerne tragen ließ. Die Unterhaltung wurde bald so lebhaft, daß ihr bißchen Schmuck, welches sie an sich hatte, unvermerkt in den Schnee fiel. Aber weil er einen ganz entschiedenen und harten Widerstand bei ihr fand, ließ er wie abgeschnitten von seinen Deutlichkeiten und bemerkte ihr kurz, daß für solchen Widerstand nur zwei Gründe bestehen könnten: entweder die Unberührtheit (was sie verneinte) oder ein zur Zeit bei ihr herrschender körperlicher Zustand (was sie bejahte). Diese seine Äußerung gefiel der Grete Siebenschein jedoch so gut, daß volle Einigung

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