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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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waren auch die passioniertesten Affären unserer Siebenschein beschienen, und es wirkt erheiternd, daß sie eben eine derartige innere Haltung späterhin oft ihrem René vorwarf, der sie gar nie fertig gebracht hätte (mangels eines genügend langen Halses), sondern sie nur gelegentlich posierte, um rasch und heroisch irgendeine fallweise Eifersucht hinabzuwürgen, was eine Art Kulthandlung vor den Altären der Grete Siebenscheinschen Eigenpersönlichkeit darstellen wollte. Aber wer immer eine Pose zu lange heraus steckt und vorstreckt, der wird früher oder später einmal an ihr wie an einem Henkel ergriffen und so gleichsam bei einem Wort genommen, das er zwar immerwährend ausgesprochen, nie aber eigentlich gemeint hat. Nützt nichts: er bekommt das Übergewicht nach außen und fällt hinter seinem Worte her in den Tumult der Dinge. Und nach innen kann ihm obendrein gerade das gleiche passieren. Denn solche neue prothetische Gliedmaßen, die sich einer da zulegt, wachsen nach beiden Richtungen: hinaus und herein.
Was aber die Grete angeht, so muß man ihr mindestens dies eine vindicieren: daß sie ein genaues Gegenteil dessen war, was man eine dumme Gans nennt. Gerade dies aber scheint dem Herrn von und zu René, über dessen Haupt man im weiteren Verlaufe der Begebenheiten (um mit Johann Nestroy zu reden) schon bedenklich lange Ohren sich erheben sehen wird, maßlos imponiert zu haben. Es erhielten von da her die übrigen Siebenschein'schen Bestandstücke, Attraktionen, Waffen, gewissermaßen eine Art von höherer Weihe.
Unter solchen stets erneuerten Gegenbewegungen also, von denen ein Pröbchen wir hier dargeboten haben, verlief Gretes Aufenthalt in Norwegen durch Jahr und Tag. Sie erlebte nicht nur kurze und abrupte, sondern auch länger sich hinziehende Affären. Sie erreichte nicht nur amüsante und fragwürdige Stellungen (wie man gesehen hat), sondern auch bessere und langweilige.
Dann und wann schrieb sie dem kleinen E. P. Seine Antworten waren sogenannte Viertelkilo-Briefe. Sie hat ihm späterhin sogar norwegische Kronen geschickt, welche sich in der damals schon rapide verfallenden österreichischen Währung imposant ausdrückten. Von Haus aus hätt' er's wahrlich nicht nötig gehabt. Aber der Kleine war mit seiner Familie zerfallen, wenngleich er noch bei seinen Eltern wohnte (jene Zerfallenheit mißfiel der Frau Mary K. wie alle Querköpfigkeiten überhaupt). Das Haus Numero vierundvierzig in der Wiener Porzellangasse ist (es steht noch) die eine Hälfte eines Doppelgebäudes, aus zwei ganz gleichen Häusern, die zusammen ein symmetrisches Gebilde ergeben, eine beängstigende Bau-Art. Der Architekt hat denn auch Miserowsky geheißen, oder waren es zwei Brüder Miserowsky? Vielleicht sind sie Zwillinge gewesen, das möchte am passendsten sein. Der Vater E. P.s – man erinnert sich nur unklar des kleinen, böhmisch aussehenden glatzköpfigen Herrn – war ein Industrieller und besaß Spinnereien zu Smidary. (E. P. hat übrigens beide Eltern noch vor seiner Verehelichung, die anfangs 1924 erfolgte, verloren, die Wohnung in der Porzellangasse aber beibehalten.) Es gab auch einen Bruder, den man aber zu Wien kaum gekannt hat, er war im väterlichen Werk tätig. Eben das wollte E. P. nicht sein. Er war mit beiden innerlich verfeindet, mit dem Vater und mit dem Bruder. Es gehörte diese Feindschaft und dieses Familien-Problem zu ihm wie seine blauen Augen, seine tiefbräunliche Haut, seine ebensolchen Haare oder etwa seine extreme Kaisertreue mitten in der Republik.
Als René Stangeler im Sommer des Jahres 1920 endlich aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war, hat ihn E. P. mit einem Telegramm von vierzehn Zeilen Länge begrüßt, welches auf dem Landhause von Stangelers Eltern, wohin sich der Heimgekehrte unverzüglich begeben hatte, einigen Eindruck hervorrief. Es begann mit den Worten: »Wie herrlich ist das, Deine Rückkehr…« Ab diesem Tage erzählten die Viertel kiloBriefe nach Norwegen immer teilweise von René. So ward der Boden vorbereitet.
Und so ging denn alles rasch, als sie wiederkam, im Frühjahr einundzwanzig. Zwischen ihrer Ankunft in Wien und der Vereinigung mit René Stangeler – welche nach der Artung des kleinen E. P. freilich dessen Bruch mit dem neuen Paare sehr bald nach sich gezogen hat – vergingen eigentlich nur wenige Wochen. Sie haben indessen der Grete Siebenschein genügt, den Kleinen in jeder Hinsicht zu versorgen. Sie hat ihm eine Stellung in einer Großbank

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