Die Strudlhofstiege
schlagartig bekannt, der um rund 450 Seiten umfangreichere Roman »Die Dämonen« trug dann seinen Ruf in alle Welt. Ohne Übertreibung läßt sich behaupten: Doderer avancierte zum repräsentativen österreichischen Autor der 50er Jahre und blieb es bis zu seinem Tod im Dezember 1966.
Man hat ihm diese Karriere nicht an der Wiege gesungen:
Franz Carl Heimito Ritter von Doderer wurde am 5. September 1896 in Hadersdorf bei Wien als jüngstes Kind einer Technikerfamilie geboren. Bereits der Großvater hatte einschlägig, als Architekt, gearbeitet und war ob seiner Verdienste geadelt worden, und vom Vater, einem angesehenen Bauingenieur und Unternehmer, geht merkwürdige Kunde: Als Choleriker von Format habe er in einem seiner Zornausbrüche sogar einen Hund gebissen. Kenner von Doderers Werk wollen darin sublimierte Reste jener Erbmasse wiedergefunden haben: die altmeisterliche Kompositionsweise der riesenhaften, teilweise auf dem Reißbrett skizzierten Romane, veritabler Kathedralen des Erzählens, und auch die heftige Neigung zum Exzentrischen, wie sie sich in dem heiteren Wut-Epos »Die Merowinger« ausdrückt. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch das Bekenntnis aus den »Commentarii« über seine vitalsten Wünsche: »Viel Geld, um in einer Folge schwerster sexueller Excesse, sinnloser Saufereien und dementsprechender Gewalthändel endlich und endgültig unterzugehen. Statt dessen hab' ich das weitaus gewagtere Abenteuer der Tugend gewählt.«
Die Passion des Schreibens überkam Doderer unter durchaus extremen Bedingungen – in der russischen Kriegsgefangenschaft. Nach vierjährigem Lageraufenthalt flüchtete er 1920 und schlug sich aus der Kirgisensteppe zu Fuß nach Wien durch, wo er das Studium der Geschichte und Psychologie aufnahm – als gründlichste Vorbereitung, wie er dachte, auf seine künftige Tätigkeit. 1925 wurde er zum Doktor der Philosophie promoviert, und noch nach dem Zweiten Weltkrieg, den er als Hauptmann der Deutschen Wehrmacht mitgemacht hatte, absolvierte er das renommierte »Institut für österreichische Geschichtsforschung«. Finanziell abhängig von familiärer Unterstützung, versuchte sich der angehende Schriftsteller auch im Journalismus, ohne sich jedoch dem feuilletonistischen Genre allzusehr anzupassen: Lieber lieferte er Abseitiges und Sprödes als gefällige Konfektion. In literarischen Dingen verstand und stilisierte er sich als »Schüler« des hartnäckig verehrten Maler-Dichters Albert Paris Gütersloh, über den er 1930 ein Bändchen veröffentlichte: »Der Fall Gütersloh«.
Es gibt aber auch einen Fall Doderer. Am 1. April 1933 trat er der in Österreich bald darauf verbotenen NSDAP bei. Sein nachmaliges opus maximum nannte er mitten während der Arbeit plötzlich und zeitgemäß »Die Dämonen der Ostmark«, und obendrein hat er sich nach dem »Anschluß« – gemeinsam mit Gütersloh – in einer »arisierten« Wohnung einquartiert.
Doch Heimito von Doderer wurde – vergleichbar Gütersloh, der tatsächlich Repressalien ausgesetzt war – von den Nationalsozialisten nicht geschätzt: Trotz Anbiederung stellte sich kein Erfolg ein. Desillusioniert zog sich Doderer – allmählich die Gleichsetzung des von ihm erträumten neuen »Reichs« mit dem ominösen »Dritten« als fatales Mißverständnis er kennend – zurück. Seit 1938 ließ er sich nicht mehr als Parteimitglied führen, und 1940 konvertierte er zur katholischen Kirche. Ein Jahr zuvor schon hatte er übrigens notiert: »Meinungen sind etwas ähnliches wie die Hämorrhoiden des Geistes. Ein Schriftsteller hat leider auch manchmal Meinungen.« Warum all das hier und heute referieren? Weil Doderers ästhetische Theorie ohne diese Praxis des Irrtums und der Schuld kaum zu erklären ist. Enttäuscht von Politik jeglicher Art und Richtung verordnete er sich eine Einstellung zur Welt, die er in den seltsamen Begriff der »Apperceptivität« kleidete, was nichts anderes heißt als: dem Leben völlig vorurteilsfrei und offen gegenüberzustehen und nicht aus der Realität in eine »zweite Wirklichkeit« zu fliehen. Mit einem Doderer- Zitat gesagt: »Leben besteht darin, daß man sich einläßt: sich selbst hineinläßt.« Natürlich konnte auch und gerade Doderer nachgewiesen werden, daß seine Ideologie der Ideologielosigkeit konservativem Denken entsprang und er weiterhin über funktionstüchtige innere Scheuklappen verfügte – die Bedeutung dieses Konstrukts für sein Œuvre schmälert solcher
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