Die Strudlhofstiege
sei. Dito Schild an der in hellem Rotbraun lackierten spiegelnden Tür: Pastré. Sonst nichts. Mimi war blaß geworden während des Emporsteigens zur Familien-Guillotine. Mit ihren Träumen hielt sie schon weit dahinter, im Jenseits, mit Enrique, jenseits des Wassers; jetzt aber stürzten heulend die Dämonen dieses Hauses rudelweis über die gepflegte Treppe ihr entgegen, hockten äffchenklein auf ihren Schultern, nahmen sie beim Genick und fistelten ihr in die Ohren, daß es einen regenbogenfarbigen Salon mit Blick auf's Wasser eigentlich gar nicht gäbe und keinen Park in ›Palermo‹, und auch keinerlei schwarze und weiße Schwäne, und gar keine spanischen Verse, die der Mund formte, während sie ihn formten. Sondern Messing, peinlich sauber; und mindestens weit wirklicher als jener ganze bunte, wallende Hintergrund, in den Mimi hinein zu verschwinden schon willens gewesen war. Jedoch erst hieß es Messing schlucken. Ihr wurde nahezu übel.
Wortlos drückte der Rittmeister auf den Klingelknopf und wandte sich sogleich treppab. Im langsamen Hinuntersteigen hörte er die herankommenden schnellen und gleichmäßigen, ja gewissermaßen gleichgültigen Schritte, wohl eines Stubenmädchens, das durch einen offenbar sehr ausgedehnten Vorraum ging, um zu öffnen. Die Tür klaffte als Eulenfeld eben um die Treppenwendung trat. Weiße Schürze und Häubchen: und etwas wie ein leiser Schrei oder Ausruf (die Zwillinge hatten sich bis in's Letzte gleich angezogen). Nun schloß sich der Türflügel wieder. Stille. Das Messingschild blinkte: Pastré. Sonst nichts. Der Rittmeister stieg langsam die Treppen hinab.
Ihm gelangte das auch für sein Leben Entscheidende des Tages jetzt zur klarsten Evidenz. Hier war anzuhalten, hier war abzuschließen. Hier war auch aufzunehmen, was durch Jahre darnieder gelegen hatte, halb im Schlamm versunken, darin sich manche wurmartige Kriechspur fand. Er verließ dieses Haus in wesentlich anderer Haltung, als jene gewesen war, in der er's betreten: mit etwas hohlerem Kreuz und überhaupt steifer. Hier war zu unterstreichen, hier war auch äußerliche Hilfe keineswegs zu verschmähen beim Betreten eines neuen Raums der Lebensweise. Er kannte einen Herrn von Leiningen, der einst beim hiesigen dritten Dragoner-Regimente Major gewesen. Dieser Mann hatte mitunter Pferde zu vergeben, die der Bewegung bedurften, denn Leiningen war Sekretär eines großen Reiter-Vereines; und dort stand keineswegs das Schlechteste in den Ställen. Als Eulenfeld auf die Straße trat, verließ er dieses Haus, die Treppe, das Messingschild, den Herrschbereich steriler Penaten, vor allem aber die Zwillinge Pastré selbst, viel rascher und entschiedener als etwa Mimi in ihren Träumen dem allen schon entwichen und in ihre eigentliche Heimat vorausgeeilt war. Die Straße sah ihn als einen freien Menschen mit Verfügung über die eigenen Energien, die eigene Zeit, die eigenen vorgeschrittenen Jahre. Es mochte jetzt gegen fünf Uhr gehen (der Rittmeister hatte sich zwecks Eskorte der Zwillinge nachmittags sogar vom Bureau freigemacht!). Im Sekretariat der Campagne-Reiter-Gesellschaft würde wohl niemand mehr zugegen sein. Immerhin, Eulenfeld bewegte sich gegen den Opernring zu. Und fand Herrn von Leiningen anwesend. Editha war der Schwester ins Vorzimmer entgegengeeilt, noch bevor das Mädchen Mimi hatte anmelden können: nun ergriff sie diese sogleich fest am Handgelenke (nicht an der Hand) und zog sie mit sich.
Ein Kabinett mit wenigen echten Stücken im letzten Stile vor der Französischen Revolution verlassend – aber leichtfertige Gravüren gab es hier keine! – traten sie in eine Flucht von vier langen Räumen; und noch bemerkte Mimi nicht, daß an deren Ende, und von der Flügeltüre wie umrahmt, ihr Vater saß. Editha schien gewillt, alles eilenden Fußes abzumachen und eine Betäubung nutzend, in der Mimi sich augenscheinlich befand. Schon war man heran, schon kam die Mutter entgegen. (Sie war schön: die ganze tiefe, schattige Schönheit der geborenen Meriot öffnete sich wie ein Ebenholz-Schrein, noch einmal aufleuchtend, als sie ihr wiedergeschenktes Kind empfing.) Da geschah es, daß in dem Augenblicke, als Mimi den Vater nun erblickte – seine verwirklichte Möglichkeit als Greis, die sie immer schon empfunden – diesem, während er die Arme vor der gedoppelten Erscheinung zitternd erhob, aber im Sessel sitzen blieb, der Mund sich weit und lautlos öffnete und nicht mehr schloß: ihm war die Kinnlade
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