Die Strudlhofstiege
bei heranwachsenden Kindern und einer Dauer des Zusammenlebens von bald vierzehn Jahren, die Nächte eine Angel, welche im Dunkel eingepflanzt, jeden hellen Tag um sich schwingen ließ und seinen Kreislauf von sich abhängig hielt. Hier, im Kerngehäuse seiner Lebensumstände, hatte Oskar ein Beben beobachtet, dessen Nachschwingen in helleren, dem Tage angehörenden kleinen Umständen ihm als notwendig und selbstverständlich erschien. Die seit einiger Zeit gesteigerte Hingabe seiner Gattin und die unausbleibliche Wechselwirkung davon auf ihn selbst und auf sie selbst wieder zurück – so daß dem Gott Eros schon von beiden Seiten her gesteigert gespendet ward – legte um die Frau eine knisternde Aura, welche nur einem völlig Stumpfen hätte entgehen können, nie aber demjenigen, dessen Begehrlichkeit ohnehin schon aus ihren Handgelenken, aus den Schläfen, Schultern und dem Rocksaume lange Funken zog, kaum zu verbergende. Freilich, sie wußte das, sie dämpfte es zugleich durch das völlige Fehlenlassen jeder Koketterie und benebelte hundertfach stärker nur durch das Fluidische, das von ihr ausging, und peitschte zugleich eine offene Wunde durch ihre Ehrbarkeit. Eine Wunde, vor welcher sie profund, aus einem ganz gewissen Wissen, jede Achtung weigerte.
Aber sie betonte sonst nichts. Sie schärfte nicht etwa in Negrias Gegenwart die Züge eines besonders guten ehelichen Einvernehmens heraus. Die kleine Gesellschaft am Teetisch wurde durch keinerlei Demonstrationen in Unruhe versetzt. Diese blieben so weit ab, daß man es sogar fertig brachte, sich gut zu unterhalten – Negria unterhielt sich meistens gut mit Oskar, dem ›Spinnerich‹, der ›Zecke‹, ohne daß ihm dabei so was wie eine Gesinnungslumperei zum Bewußtsein gekommen wäre. Man kann sagen, daß er diesen Mann verhältnismäßig leicht ertrug, zwar bei Höpfner oben schimpfend, jedoch ohne die wesentlichen Qualen der Eifersucht, womit für uns Marys geringschätzende Anschauungsweise über die Natur der gewissen Wunde nahezu bestätigt erscheint. Alle diese feinen Spinnenfäden – feiner noch als der Altweibersommer, welcher nun bald die Wangen wieder geisterhaft berühren würde – waren für den Spinnerich manifest und evident, eben weil er ein Spinnerich war. Im Augarten aber, bei den Tennisplätzen, in einer Sonne, die zusammen mit den Wasserdünsten der Donau die Luft milde und milchig erfüllte – so daß man, den Obstgeschmack des Herbstes im Munde, die vergehende Zeit fast sinnlich spüren konnte, weil sie langsamer wurde und nahezu stand – im Augarten gelangte Oskar, am Ende sogar durch wiederholtes Experiment, zu einem Ergebnis am hellichten Tag und in der äußeren Welt, das ihn nahezu so befremdend anrührte wie das Beben der Angel im innersten Kerngehäus seines Lebenskreises. Dabei bezog sich jenes Ergebnis nur auf eine scherzhafte Gepflogenheit zwischen seiner Frau und ihm – hier eigentlich auf das Ausbleiben dieser Gepflogenheit, ja, wie es schien, die Unmöglichkeit, sie wieder zu beleben, obwohl es ein gewohnter Spaß war, den sie schon in ihrer Brautzeit gekannt hatten. Sie pflegten nämlich – und besonders gern nach dem Tennisspiel – zum Scheine miteinander Streit anzufangen, alle Anwesenden dabei irgendwie beteiligend (sei es, daß diese sich einmischten oder in Bestürzung gerieten), um dann unvermittelt Arm in Arm und ganz zärtlich-vergnügt zu entschreiten. Es zeigte sich nun, daß Mary auf dieses Spiel schon seit längerer Zeit durchaus nicht mehr einging. Freilich, man könnte zu solchen Spielen schon was bemerken. Mindestens dieses: daß sie die Exhibition von etwas Selbstverständlichem darstellten, nämlich der Eintracht zwischen einem Paare.
Die Kinder waren zur Schule gegangen, der Mann ins Geschäft, Mary ins Badezimmer. Während sie unter dem heißen Wasserspiegel in der Wanne lag und gleichgültig ihren Körper betrachtete, dessen Wirkung hier ausblieb, zwischen gekachelten Wänden und vernickelten Hähnen unter dem bläulichen Wasser, wie ein Schuß, den man wohl abfeuern sieht, aber dessen Knall man nicht hört, klopfte es. Mary nahm sich zurück aus dem Gerinnsel ihrer Vorstellungen und viertel oder halben Gedanken und sagte ihrer treuen, stets um sie sorgenden Marie, daß sie nicht hier frühstücken wolle, sondern drinnen am Teetisch.
Gemütlicher war das Wohnzimmer wohl im Winter, wenn der in Form eines Kamines gebaute große Koksofen seine Glut gleichmäßig durch die Glimmerscheiben leuchten
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