Die stumme Bruderschaft
Doppelleben. Ich bat meinen Vater, mir eine Liste mit allen Leuten zu geben, von denen er weiß, dass sie mit McCall Umgang pflegen. Er wollte es nicht, aber am Ende habe ich ihn überredet. Mein Vater hat sehr wegen meines Unfalls gelitten. Es hat ihm nie gepasst, dass ich Journalistin bin, und noch weniger, dass ich mich mit diesen Dingen befasse. Lord McCall ist ein sonderbarer Kauz. Junggeselle, ein Liebhaber sakraler Kunst, steinreich. Alle drei Monate tauchen im Schloss irgendwelche Männer auf, mit dem Auto oder mit dem Helikopter, und bleiben zwei oder drei Tage. Niemand weiß, wer sie sind, es heißt, sie seien so bedeutend wie McCall. Ich habe die Spur seiner vielen Geschäfte verfolgt, so weit ich konnte, aber es ist nicht viel dabei herausgekommen. Seine Unternehmen sind jedenfalls an unzähligen anderen beteiligt, und ich kann dir sagen, es gibt kein wirtschaftliches Ereignis auf der Welt, das nicht irgendwie mit ihm und seinen Freunden zu tun hat.«
»Was willst du damit sagen?«
»Nun, es gibt eine Gruppe von Männern, die die Fäden ziehen. Ihre Macht ist fast größer als die der Regierungen. Sie können auf alles Einfluss nehmen.«
»Und was hat das mit den Templern zu tun?«
»Seit fünf Jahren beschäftige ich mich mit allem, was über die Templer geschrieben wurde. Ich habe viel Zeit, ich bin ja an diesen Rollstuhl gefesselt. Ich bin zu einigen Schlussfolgerungen gekommen: Unter allen Organisationen, die sich zu Nachfahren der Templer erklären, gibt es eine geheime, die aus lauter diskreten, aber sehr einflussreichen Männern besteht, die allesamt zur Crème de la Crème der Gesellschaft gehören. Ich weiß nicht, wie viele es sind, und auch nicht, um wen es sich im Einzelnen handelt, zumindest bin ich mir nicht sicher. Aber ich glaube, sie sind die wahren Templer, die Erben Jacques de Molays sind sie, und McCall ist einer von ihnen. Ich habe Nachforschungen über sein Schloss angestellt, und es ist merkwürdig, im Verlauf der Jahrhunderte ist es durch verschiedene Hände gegangen, aber immer an allein stehende reiche Männer mit guten Beziehungen, und alle waren eifrig darauf bedacht, keine Fremden hineinzulassen. Ich glaube, es gibt ein geheimes, perfekt organisiertes Templerheer, dessen Mitglieder bedeutende Positionen in allen Ländern innehaben.«
»Eine Art Freimaurerloge.«
»Nun, du weißt, dass mehrere Freimaurerorganisationen behaupten, Nachfahren der Templer zu sein. Aber ich meine die wahre Organisation, von der niemand etwas weiß. Mit der Liste, die mein Vater mir gegeben hat, und der Hilfe eines exzellenten Journalisten habe ich ein Organigramm dieser Templerorganisation erstellt, die ich für die echte halte. Das war nicht leicht, kann ich dir sagen. Michael, der Journalist, von dem ich gerade sprach, ist tot. Vor drei Jahren hatte er einen tödlichen Autounfall. Ich glaube, sie haben ihn getötet. Wenn jemand ihnen zu nahe kommt, ist sein Leben in Gefahr. Ich weiß es, ich habe aus der Nähe mitbekommen, wie es einigen von uns ergangen ist, die ebenso neugierig waren wie wir.«
»Du siehst die Welt also als eine einzige Verschwörung.«
»Ana, ich glaube, es gibt zwei Welten: die, die wir sehen und in der die meisten von uns leben, und eine im Untergrund, von der wir nichts wissen, wo aber verschiedene Wirtschafts-, Freimaurer- oder sonst was für Organisationen die Fäden ziehen. Und in dieser Unterwelt bewegt sich der neue Templerorden.«
»Selbst wenn du Recht hättest, erklärt das noch nicht, was die Templer mit dem Grabtuch zu tun haben sollen.«
»Ich weiß es auch nicht. Leider. Ich habe dir das alles erzählt, weil dein Pater Yves vielleicht …«
»Sag schon.«
»Einer von ihnen ist.«
»Ein Templer von dieser Geheimorganisation?«
»Du glaubst, ich binde dir einen Bären auf, aber ich bin Journalistin, so wie du, und kann Realität und Fiktion auseinander halten. Ich habe dir gesagt, was ich glaube. Jetzt handele entsprechend. Wenn das Grabtuch den Templern gehörte und Pater Yves aus der Familie Geoffroy de Charnys stammt …«
»Aber es ist doch gar nicht das Grabtuch Christi. Die C-14-Methode hat keinen Zweifel daran gelassen. Ich weiß nicht, warum die Charnys es versteckt hatten, und auch nicht, warum es aufgetaucht ist. Im Grunde weiß ich nichts.«
Ana fühlte sich entmutigt. Als sie Elisabeth so zuhörte, wurde ihr bewusst, dass es den anderen mit ihr bestimmt genauso ging, wenn sie ihre Theorien über das Grabtuch darlegte.
Sie hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher