Die stumme Bruderschaft
da in eine absurde Geschichte verrannt, nur weil sie denen vom Dezernat für Kunstdelikte beweisen wollte, dass sie klüger war. Damit war jetzt Schluss. Sie würde sofort nach Barcelona zurückfliegen. Und sie würde Santiago anrufen. Der würde sich freuen, wenn sie ihm sagte, dass sie genug von der Geschichte mit dem Grabtuch hatte.
Elisabeth und Paul ließen sie ihren Gedanken nachhängen. Sie hatten ihre Verwirrung bemerkt. Sie hatten nur wenigen Leuten von dem neuen Templerorden erzählt, denn sie fürchteten um ihr Leben und um das derjenigen, die ihnen halfen.
»Elisabeth, willst du es ihr geben?«
Pauls Worte rissen Ana aus ihrer Gedankenverlorenheit.
»Ja.«
»Was willst du mir geben?«
»Dieses Dossier, es ist die Zusammenfassung meiner Arbeit der letzten fünf Jahre. Meiner und der Michaels. Hier sind die Namen und die Biografien von denen, die wir für die neuen Meister des Templerordens halten. Meiner Meinung nach ist McCall der Großmeister. Aber lies erst mal. Ich will dich um einen Gefallen bitten. Wir vertrauen dir, weil du kurz davor bist, eine bedeutende Entdeckung zu machen. Wir wissen nicht genau was, aber SIE haben damit zu tun. Wenn diese Papiere in die falschen Hände geraten, werden wir sterben, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Deswegen: Zu niemandem ein Wort, absolut niemandem. SIE haben ihre Ohren überall, im Gericht, bei der Polizei, in den Parlamenten, an den Börsen … Sie wissen, dass du bei uns warst, aber nicht, was wir dir erzählt haben. Wir haben viel in ein Sicherheitssystem investiert und spezielle Apparate, die Wanzen aufspüren. Trotzdem kann es sein, dass irgendwo welche sind. SIE sind sehr mächtig.«
»Verzeiht, aber leidet ihr nicht ein wenig unter Verfolgungswahn?«
»Glaub, was du willst, Ana. Du hast Nachforschungen über die Templer angestellt, weil du wissen wolltest, ob es sie noch gibt. Wirst du tun, worum wir dich gebeten haben?«
»Mach dir keine Sorgen, ich werde mit niemandem über dieses Dossier sprechen. Soll ich es dir zurückgeben, wenn ich es gelesen habe?«
»Zerstör es, es ist nur eine Zusammenfassung, aber es wird dir nützlich sein, falls du dich entschließt weiterzumachen.«
»Glaubst du etwa, ich würde einen Rückzieher machen?«
Elisabeth seufzte.
»Du bist durchschaubarer, als du glaubst.«
46
In der Kirche roch es nach Weihrauch. Die Messe war gerade zu Ende. Addaio ging schnellen Schrittes zu dem am weitesten vom Altar entfernten Beichtstuhl, wo er vor neugierigen Blicken geschützt war.
Er trug eine Perücke und ein Kollar. In den Händen hielt er ein Gebetbuch. Er hatte den Mann für sieben bestellt. Es war noch eine halbe Stunde bis dahin, aber er wollte zeitig da sein. Er war zwei Stunden umhergelaufen, um herauszufinden, ob man ihm folgte.
Als er in dem Beichtstuhl saß, dachte er an Guner. Seit einiger Zeit kam er ihm nervös vor, unzufrieden, mit ihm und mit sich selbst. Er war das Leben leid, genau wie er.
Niemand wusste von seinem Aufenthalt in Mailand, nicht einmal Guner. Hirte Bakkalbasi hatte besondere Anweisungen für die Operation, die Mendibjs Leben ein Ende setzen sollte, aber er, Addaio, plante noch eine weitere, von der niemand etwas wusste. Der Mann, auf den er wartete, war ein Killer. Er arbeitete allein und war immer erfolgreich, zumindest bis jetzt.
Ein Mann aus Urfa hatte die Verbindung hergestellt, jemand aus der Gemeinschaft, der ihn um Vergebung für seine Sünden gebeten hatte. Der Mann war nach Deutschland emigriert und von dort aus in die Vereinigten Staaten. Er hatte kein Glück gehabt, hatte er gesagt. Er war vom Weg abgekommen und ein wohlhabender Drogenhändler geworden, der Europas Straßen mit Heroin überschwemmte. Er hatte gesündigt, aber die Gemeinschaft trotzdem nie verraten. Seine Rückkehr nach Urfa war durch eine schmerzhafte Krankheit bedingt. Er würde sterben, die Diagnose war klar, er hatte einen Tumor, der seine Eingeweide zerfraß, wei tere Operationen waren nicht möglich. Deswegen wollte er nach Hause zurückkehren, an den Ort seiner Kindheit, und den Hirten um Vergebung bitten. Außerdem machte er der Gemeinschaft eine großzügige Spende, die deren Fortbestand garantierte. Die Reichen glauben immer, sie können ihre Erlösung im Jenseits mit Geld erkaufen.
Er bot sich an, bei der heiligen Mission der Gemeinschaft mitzuwirken, aber Addaio lehnte die Hilfe ab. Ein ruchloser Mensch konnte nicht an einer heiligen Mission teilnehmen, auch wenn er Mitglied der
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