Die stumme Bruderschaft
Gemeinschaft und er selbst als Hirte verpflichtet war, ihm in den letzten Tagen seines Lebens Trost zu spenden.
Bei einem der Beichtgespräche hatte der Mann ihm einen Zettel mit der Nummer eines Postfachs in Rotterdam gegeben und gesagt, falls er irgendwann einmal jemanden für einen schwierigen Job bräuchte, sollte er an dieses Postfach schreiben. Und genau das hatte er getan. Er hatte ein Blatt Papier mit der Nummer eines Mobiltelefons dorthin geschickt. Zwei Tage später hatte der Unbekannte angerufen. Und jetzt saß er in dem Beichtstuhl und wartete auf den Killer.
»Heilige Mutter Gottes.«
Die Stimme des Mannes erschreckte ihn. Er hatte nicht bemerkt, dass jemand auf der Bank niedergekniet war.
»Ich will, dass Sie jemanden für mich töten.«
»Das ist mein Job. Haben Sie ein Dossier über ihn mitgebracht?«
»Nein. Es gibt weder Dossiers noch Fotos. Sie müssen ihn selbst finden.«
»Das erhöht den Preis.«
Fünfzehn Minuten lang erklärte Addaio dem Mörder, was er von ihm erwartete. Dann stand dieser auf und verschwand in der Dunkelheit der Kirche.
Addaio verließ den Beichtstuhl und ging zu einer der Bänke am Altar. Dort legte er die Hände vors Gesicht und weinte.
Bakkalbasi setzte sich auf den Sofarand. Die Wohnung in Berlin war sicher. Die Gemeinschaft hatte sie nie benutzt. Ahmed hatte ihm gesagt, sie gehöre einer Freundin seines Sohnes, die gerade in der Karibik Urlaub machte. Sie habe ihm den Schlüssel gegeben, damit er alle paar Tage die Katze füttern konnte.
Die Angorakatze hatte zur Begrüßung miaut. Bakkalbasi hatte eine Katzenallergie und so fing er an zu husten, und bald juckte es ihn am ganzen Körper. Aber er hielt es aus. Und dann kamen endlich die anderen.
Er kannte diese Männer seit seiner Kindheit. Drei von ihnen waren aus Urfa und arbeiteten in Deutschland. Die anderen waren auf verschiedenen Wegen aus Urfa angereist. Alles treue Mitglieder der Gemeinschaft, die ihr Leben geben würden, wenn es erforderlich wäre, wie es auch ihre Brüder und ihre Vorfahren getan hatten.
Die Mission war schmerzlich: Sie sollten einen der ihren töten, aber der Hirte Bakkalbasi versicherte, dass die Gemeinschaft sonst auffliege. Es gab keinen anderen Ausweg.
Bakkalbasi erklärte weiter, der Onkel von Mendibjs Vater habe sich bereit erklärt, den Stummen zu erstechen. Sie würden ihm die Möglichkeit dazu geben, aber sie müssten sichergehen, dass er es wirklich tat. Sie müssten Mendibj folgen, sobald er das Gefängnis verließ, und darauf achten, ob womöglich noch andere hinter ihm her waren.
Sie könnten auf die Hilfe von zwei Mitgliedern der Gemeinschaft in Turin zählen, aber sie dürften kein Risiko eingehen und keinesfalls verhaftet werden. Wenn sich allerdings einem von ihnen die Möglichkeit böte, ihn gefahrlos zu töten, solle er das ohne zu zögern tun, obwohl diese Ehre eigentlich seinem Verwandten gebühre.
Jeder musste auf eigenem Weg nach Turin kommen, vorzugsweise mit dem Auto. In Turin sollten sie zum Hauptfriedhof gehen und dort zum Grab Nummer 117. Ein kleiner am Eingang des Mausoleums versteckter Schlüssel werde ihnen Zutritt verschaffen.
Wenn sie drin seien, sollten sie den verborgenen Mechanismus betätigen, der unter einem der Sarkophage eine geheime Treppe freilegte, über die man zu einem unterirdischen Gang gelangte, der wiederum zur Kathedrale und bis zu Turguts Wohnung führte. Dieser Gang werde während ihres Aufenthalts in Turin ihre Wohnstatt sein. Sie müssten unsichtbar bleiben.
Der Friedhof wurde selten besucht, hin und wieder kamen Touristen, um die barocken Gräber zu bestaunen. Der Friedhofswächter war ein Mitglied der Gemeinschaft, ein alter Mann, Sohn eines Auswanderers aus Urfa und einer italienischen Mutter, und ihr engster Verbündeter.
Der alte Turgut hatte das Lager im Tunnel mit Ismets Hilfe vorbereitet. Dort würde sie niemand finden, denn keiner wusste von der Existenz dieses Tunnels. Er war in keinem Plan verzeichnet. Dort sollte auch Mendibjs Leiche hingeschafft werden. Der Stumme würde bis in alle Ewigkeit in Turin ruhen.
47
»Ist so weit alles klar?«
»Ja, Marco«, antworteten Minerva, Sofia und Giuseppe unisono. Antonino und Pietro nickten.
Es war sieben Uhr morgens, und sie sahen alle schlaftrunken aus. Um neun würde der Stumme freikommen.
Marco hatte die Verfolgung minutiös vorbereitet. Sie wurden von Männern der Carabinieri und von Interpol unterstützt, aber Marco zählte vor allem auf sein eigenes
Weitere Kostenlose Bücher