Die stumme Bruderschaft
ihr keinerlei Informationen über seine Klienten geben werde. Er bestätigte ihr lediglich, dass es zig Nachfahren der Charnys in Frankreich gab und dass seine Klienten dazu gehörten.
Ana verließ enttäuscht sein Büro.
Als sie in Paris ankam, ging sie sofort in die Redaktion Von Énigmes, die sich im ersten Stock eines Gründerzeithauses befand. Paul Bisol war das genaue Gegenteil von Jean.
In seinem schicken Anzug sah er eher aus wie ein Manager und nicht wie ein Journalist. Jean hatte ihn angerufen und ihn gebeten, ihr behilflich zu sein.
Paul Bisol hörte Ana geduldig an. Er unterbrach sie kein einziges Mal, was sie wunderte.
»Wissen Sie, auf was Sie sich da einlassen?«
»Was meinen Sie?«
»Mademoiselle Jiménez …«
»Bitte nennen Sie mich Ana. Und wir können uns auch gerne duzen.«
»Gut, Ana, du solltest wissen, dass die Templer existieren. Aber es sind nicht nur die eleganten Historiker, die du in London kennen gelernt hast oder irgendwelche Gentlemen aus mehr oder minder geheimen Clubs, die sich zu Erben der Ideale der Templer erklären. Jacques de Molay hat vor seinem Tod für den Fortbestand des Ordens gesorgt. Viele Ritter sind untergetaucht, haben im Geheimen gewirkt. Aber immer standen sie in Kontakt zu dem neuen Mutterhaus, dem schottischen Templerorden. Die Templer haben gelernt, sich im Untergrund zu bewegen, sie haben die europäischen Höfe und die Kurie des Papstes infiltriert, und so gibt es sie bis heute. Sie sind nicht verschwunden.«
Ana fühlte sich unwohl. Dieser Paul sprach wie ein Erleuchteter und nicht wie ein Historiker. Bis zu dem Zeitpunkt hatten alle ihren verrückten Theorien widersprochen, und plötzlich bestätigte jemand ihre geheimsten Vermutungen. Das behagte ihr nicht.
Bisol nahm den Hörer ab und sprach mit seiner Sekretärin. Dann bat er sie, ihm zu folgen. Er führte sie in ein anderes Büro. Dort saß eine junge Frau von etwa dreißig Jahren mit braunem Haar und großen grünen Augen hinter einem Schreibtisch und tippte etwas in den Computer. Sie lächelte sie freundlich an, erhob sich aber nicht von ihrem Stuhl.
»Setzt euch. Du bist also eine Freundin von Jean?«
»Na ja, wir haben uns erst vor kurzem kennen gelernt, aber wir haben uns sofort gut verstanden, und er hat mir sehr geholfen.«
»So ist Jean«, sagte Paul. »Eine Seele von Mensch, er weiß es nur nicht. Ana, erzähle Elisabeth bitte noch einmal, was du mir gerade erzählt hast.«
Ana wurde allmählich nervös. Paul Bisol war liebenswürdig, aber irgendetwas an ihm missfiel ihr. Auch Elisabeth rief eine unbestimmte Abneigung in ihr hervor, ohne dass sie zu sagen vermocht hätte, warum. Am liebsten wäre sie davongelaufen, aber sie erzählte beiden noch einmal von ihrem Verdacht.
Elisabeth hörte sie schweigend an. Als Ana geendet hatte, sahen Paul und Elisabeth sich viel sagend an. Offensichtlich überlegten sie, was sie sagen sollten. Schließlich unterbrach Elisabeth das angespannte Schweigen.
»Ana, ich glaube, du hast Recht. Wir waren bisher nicht darauf gekommen, dass Geoffroy de Charney etwas mit Geoffroy de Charny zu tun haben könnte, aber es kann in der Tat eine bloße Frage der Schreibweise sein. Wenn du sagst, du hast in den Archiven von Lirey Mitglieder beider Familien gefunden … Auf jeden Fall standen die beiden Geoffroys also in einer Beziehung zueinander. Dann gehörte das Grabtuch tatsächlich den Templern. Aber wie kam es in die Hände von Geoffroy de Charney? Auf die Schnelle fällt mir dazu nur ein, dass der Großmeister ihn vielleicht beauftragt hat, es in Sicherheit zu bringen, weil Philipp der Schöne sich der Templerschätze bemächtigen wollte. Ja, so muss es gewesen sein. Er hat es auf dem Familienbesitz versteckt, und Jahre später ist es bei dem anderen Geoffroy wieder aufgetaucht. Ganz bestimmt. So war’s.«
Ana wollte ihr und damit auch sich selbst widersprechen.
»Aber es gibt keinen Beweis für das, was ich sage. Das Ganze ist reine Spekulation.«
»Trotzdem ist es so gewesen«, sagte Elisabeth, über jeden Zweifel erhaben. »Es war immer von einem geheimnisvollen Schatz der Templer die Rede. Vielleicht war damit dieses Grabtuch gemeint. Schließlich haben die Templer es für echt gehalten.«
»Aber das ist es nicht«, erwiderte Ana, »und das wussten sie auch. Das Grabtuch stammt aus dem 13. oder 14. Jahrhundert, also …«
»Ja, du hast Recht, aber vielleicht hat man es ihnen im Heiligen Land angedreht. Damals war es schwer zu beurteilen, ob eine
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