Die stumme Bruderschaft
die Vorfälle in der Kathedrale untersuche, und man verwies mich wieder an die freundliche Pressedame, die mich diesmal ziemlich verdrossen empfing. Ich bedrängte sie, mir einen Termin beim Kardinal zu verschaffen. Am Ende setzte ich alles auf eine Karte und sagte, sie würden ein Versteckspiel betreiben und ich würde meinen Verdacht und einige Nachforschungen publik machen.
Vorgestern rief mich Pater Yves an. Er sagte, er sei der Sekretär des Kardinals, dieser könne mich nicht empfangen, aber er habe ihn gebeten, ihn zu vertreten. Wir haben uns getroffen und eine Weile unterhalten. Er schien ganz offen über den letzten Brand zu berichten. Er begleitete mich in die Kathedrale, und zuletzt tranken wir einen Kaffee. Wir vereinbarten, das Gespräch ein andermal fortzusetzen. Als ich gestern wegen eines Termins anrief, sagte er, er sei den ganzen Tag beschäftigt, ob ich etwas dagegen hätte, mit ihm essen zu gehen. Das ist alles.«
»Ein komischer Priester«, sagte Sofia, als dächte sie laut nach.
»Ich bin sicher, wenn er die Messe liest, ist die Kathedrale voll«, antwortete Ana.
»Gefällt er Ihnen?«
»Wenn er nicht Priester wäre, würde ich versuchen mit ihm anzubändeln.«
Sofia war überrascht, wie offenherzig Ana Jiménez war. Sie hätte so etwas nie gegenüber einer Fremden eingestanden. Aber die jungen Mädchen waren so. Ana war nicht älter als fünfundzwanzig, sie gehörte zu einer Generation, die es gewohnt war, sich zu nehmen, was sie wollte, ohne Heuchelei und ohne jede Rücksicht. Immerhin schien die Tatsache, dass Pater Yves Priester war, sie zu bremsen, zumindest im Moment.
»Wissen Sie, mich irritiert Pater Yves auch, aber wir haben ermittelt, und an ihm ist nichts Außergewöhnliches. Manchmal gibt es Leute, die sind einfach so, lupenrein. Was haben Sie vor?«
»Wenn Sie mir einen Hinweis geben, könnten wir unsere Informationen austauschen …«
»Nein, das kann und darf ich nicht.«
»Niemand würde es merken.«
»Täuschen Sie sich nicht, Ana, ich tue nichts hinter anderer Leute Rücken, und schon gar nicht bei Menschen, denen ich vertraue und mit denen ich zusammenarbeite. Ich mag Sie, aber ich habe meine Arbeit und Sie Ihre. Wenn Marco irgendwann entscheidet, dass Sie mit im Boot sind, ist das für mich okay, und wenn nicht, auch.«
»Wenn jemand das Grabtuch zerstören oder stehlen will, hat die Öffentlichkeit ein Recht, das zu erfahren.«
»Kein Zweifel. Aber Sie behaupten, dass jemand das Grabtuch stehlen oder zerstören will. Wir untersuchen die Ursachen für die Brände, und wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, dann werden wir das Ergebnis unseren Vorgesetzten mitteilen, und diese werden es an die Öffentlichkeit weiterleiten, wenn es von Interesse sein sollte.«
»Ich habe Sie nicht gebeten, Ihren Chef zu hintergehen.«
»Ana, ich habe verstanden, worum Sie mich gebeten haben, und die Antwort ist, nein, bedaure.«
Ana biss sich verärgert auf die Lippe und stand auf, ohne ihren Cappuccino getrunken zu haben.
»Schön, nichts zu machen. Aber wenn ich etwas entdecke, rufe ich Sie an. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
Ana lachte und verließ eiligen Schritts die Cafeteria des Hotels. Sofia fragte sich, wohin sie wohl wollte. Da klingelte ihr Handy, und als sie Pater Yves’ Stimme hörte, musste sie lachen.
»Gerade habe ich von Ihnen gesprochen.«
»Mit wem?«
»Mit Ana Jiménez.«
»Ah, die Journalistin! Sie ist sehr charmant und intelligent. Sie recherchiert über die Brände in der Kathedrale. Ich weiß, dass Ihr Chef ein guter Freund ihres Bruders ist, des spanischen Repräsentanten von Europol in Italien.«
»So ist es. Santiago Jiménez ist ein guter Freund von uns allen. Er ist ein sympathischer Mensch und fachlich sehr kompetent.«
»Ja, scheint so. Hören Sie, ich rufe im Auftrag des Kardinals an. Er will Sie und Signor Valoni zu einem Empfang einladen.«
»Zu einem Empfang?«
»Der Kardinal empfängt eine Kommission katholischer Wissenschaftler, die regelmäßig nach Rom kommen, um das Grabtuch zu untersuchen. Sie kümmern sich darum, dass es in einem guten Zustand ist. Doktor Bolard ist der Vorsitzende dieser Kommission. Immer wenn sie kommen, organisiert der Kardinal einen Empfang. Er lädt nie viele Leute ein, höchstens dreißig oder vierzig Personen, und er möchte, dass Sie dabei sind. Signor Valoni hat einmal geäußert, er würde die Wissenschaftler gern kennen lernen, und dazu ist jetzt Gelegenheit.«
»Bin ich auch
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