Die Stumme - La Muette
Zigarette fort und riss ihr den Schlauch mit Gewalt aus der Hand; sie standen direkt voreinander, sie wehrte sich, aber er war deutlich stärker. Nun spritzte er sie nass, und sie war wunderschön in ihrem langen nassen Kleid, das ihr am Körper klebte.
Wie ich sie so ansah, war ich von der Richtigkeit meines Plans überzeugt. Im Grunde war es ganz einfach: Ich musste nur meinen Onkel aufsuchen und ihm die Augen öffnen. Lange hatte ich hin und her überlegt. Denn ich wollte die Stumme nicht hintergehen; das hätte sie mir nie verziehen. Aber ich musste meinen Onkel über die Absichten des Mullahs und meiner Mutter, über die Verzweiflung der Stummen, über ihre Liebe zu ihm in Kenntnis setzen. Ich hatte ihm die Rolle des Helden zugeteilt: Er war der Einzige, der die Stumme retten konnte. Ich hatte beschlossen, am folgenden Tag zu ihm zu gehen. An dem Abend kam er nicht zu uns zum Abendessen. Meine Mutter war schlecht gelaunt, und die Stumme hatte sich in ihre Welt zurückgezogen; sie war in Gedanken versunken. Ich spülte das Geschirr, und wir gingen zeitig zu Bett. Dort dachte ich über meinen Plan nach und sah die Stumme bereits vor mir, im Hochzeitskleid am Arm meines Onkels. Voller Zuversicht schlief ich ein.
Meine Mutter weckte mich im frühen Morgengrauen, sie wirkte besorgt. Während ich mich aus dem Laken schälte, wiederholte sie:
»Wo ist deine Tante?«
Noch schlaftrunken bemerkte ich, dass der Platz neben mir leer war.
»Was weiß ich? Vielleicht ist sie auf Toilette.«
»Da komme ich gerade her.«
Die Tür zum Hof war verschlossen, sie konnte also nicht draußen sein. Ich warf auch einen Blick in die Küche.
»Wenn ich dich frage, wo sie steckt, dann deshalb, weil ich schon überall nachgesehen habe, und sie ist weder im Haus noch anderswo auf der Straße«, sagte meine Mutter voller Panik.
Ich begriff nicht, wohin sie gegangen sein konnte, vor allem zu einer solchen Uhrzeit, aber plötzlich hatte ich eine Eingebung.
»Du weißt doch etwas, los, sag es mir.«
»Ich weiß nichts, wie könnte ich wissen, wohin sie so plötzlich verschwunden ist?«
»Dein Vater kommt am Nachmittag nach Hause. Wir müssen sie vorher finden, sonst wird er glauben, dass …«
»Vielleicht ist sie vor der Zwangsehe mit dem Mullah geflohen.«
»Allah, hilf, das wird ein Skandal, wenn die Leute erfahren …«, wiederholte meine Mutter.
Sie warf ihren Tschador über und sagte mir, sie wolle ihren Bruder wecken gehen, damit er sich auf die Suche nach der Stummen machte. Bei diesen Worten zuckte ich zusammen: Es ist noch zu früh, und du musst zur Arbeit, ich werde meinem Onkel Bescheid geben. Aber sie hatte bereits die Tür geöffnet und war schon fast draußen. Ich lief ihr hinterher und zerrte an ihrem Tschador: Ich gehe schon, du wirst noch zu spät kommen. Sie drehte sich um, und ich sah Argwohn in ihren Augen aufblitzen. Während ich mir das Kopftuch umband, lief ich ihr barfuß weiter hinterher: Es ist viel zu früh, um ihn zu wecken, geh lieber zur Arbeit, ich erledige das für dich. Erneut drehte sie sich um und gab mir eine Ohrfeige. Doch ich ließ nicht von ihr ab. Zwei Männer beobachteten uns. Sie öffnete die Tür zum Haus meines Onkels, und ich ging mit ihr hinein. In unserer Eile hatten wir die Tür offen stehen lassen. Sekundenlang blieben wir wie erstarrt stehen: Die Stumme und mein Onkel schliefen nackt Arm in Arm. Auch ich war verblüfft, mir blieb die Luft weg. Himmel, wie schön diese beiden ineinandergeschlungenen Körper waren. Gefährlich schön.
Meine Mutter schien einer Ohnmacht nahe, doch sie fing sich rasch wieder und begann, Krach zu schlagen.
Die beiden fuhren überrascht hoch und versuchten sich eilig das Laken über ihre Blöße zu ziehen. Die beiden Männer von der Straße waren näher gekommen und standen schon in der Tür; eilig schloss ich sie. Mein Onkel, der sich in ein Laken gewickelt hatte, beteuerte meiner Mutter gegenüber: Ich werde sie heiraten, mach dir keine Sorgen, ich werde sie heiraten. Die Stumme griff nach ihrem Kleid und zog sich ins Bad zurück, um sich anzuziehen. Und meine Mutter wiederholte: Was für ein Unglück, was für ein furchtbares Unglück.
Ich sagte ihr: Wieso denn Unglück? Er hat doch gesagt, dass er sie heiraten wird …
Sie warf mit einem Schuh meines Onkels nach mir; ich hatte nicht genug Zeit, mich zu bücken, und bekam ihn direkt auf die Brust. Allmählich hatte ich ihr Theater satt.
»Du willst sie lieber mit dem Mullah verheiraten,
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