Die Stunde Der Jaeger
Sicherheit, obwohl ich das nicht konnte. Ich hatte es eine Million Mal erklärt, als ich ihr letzten Monat gesagt hatte, dass ich über Weihnachten nicht nach Hause käme. Mir blieb keine andere Wahl: Das Rudel in Denver hatte mich in die Verbannung geschickt. Sollte ich zurückkehren, und sie fänden es heraus, würden sie mich vielleicht nicht mehr fort lassen. Jedenfalls nicht ohne Kampf. Ohne einen groÃen Kampf. Mom lieà dennoch nicht locker. »Wir wohnen in Aurora«, sagte sie. »Aurora ist nicht Denver, dafür hätten sie doch bestimmt Verständnis. « Genau genommen hatte sie recht, Aurora war ein Vorort, doch was das Rudel anbelangte, war alles in einem Radius von hundert Meilen Denver.
Ich musste versuchen, das Gespräch kurz zu halten. Ohne direkt zu lügen. Verdammt.
»Ach, mir gingâs schon mal besser.«
»Was ist los?«
»Mit dem Buch läuft es nicht so gut, wie ich möchte. Allmählich
habe ich das Gefühl, dass es vielleicht ein Fehler gewesen ist, hierherzukommen und alles hinter mir zu lassen.«
»Wenn du eine Bleibe brauchst, kannst du immer hier bei uns wohnen, so lange du willst.«
Da waren wir also mal wieder beim Thema ⦠»Nein, ist schon okay. Vielleicht ist heute nur nicht mein Tag.« Meine Woche? Mein Monat?
»Wie sieht es sonst so aus? Bist du Ski fahren gewesen?«
Ich hatte absolut nichts zu sagen. Jedenfalls nichts, das ich erzählen konnte, ohne einen hysterischen Anfall zu bekommen. »Nein, Skifahren ist mir bisher gar nicht in den Sinn gekommen. Alles läuft prima, einfach prima. Wie geht es dir? Und den anderen?«
Mom widmete sich dem Klatsch über meinen Dad, meine ältere Schwester Cheryl, ihren Mann und ihre beiden Kinder â eine typische Vorzeigefamilie aus dem Vorort. Der Klatsch beinhaltete Themen wie Ãrger in der Arbeit, Tennisergebnisse, erste Schritte, erste Wörter, wer wohin zum Abendessen ausgegangen war, welcher Cousin gerade in welchen Schwierigkeiten steckte und welche der GroÃtanten und -onkel im Krankenhaus lagen. Ich konnte mir nie etwas davon merken. Doch es klang normal. Mom klang glücklich, und meine Nervosität lieà nach. Sie sorgte dafür, dass ich nicht den Anschluss verlor, sie war mein Anker. Zwar mochte ich aus eigenem Antrieb ins Exil im Wald gegangen sein, doch ich besaà immer noch eine Familie, und Mom rief mit der RegelmäÃigkeit eines Uhrwerks jeden Sonntag bei mir an.
Sie beendete das Telefonat, nachdem sie mir das Versprechen
abgenommen hatte, vorsichtig zu sein und anzurufen, falls ich etwas brauchen sollte. Ich versprach es, wie jede Woche, egal, in welchen Schwierigkeiten ich gerade stecken oder was auf meiner Veranda ausgeweidet worden sein mochte.
Nach dem Gespräch hatte ich das Gefühl, ein wenig besser mit der Situation umgehen zu können. Mit dem Schlauch abspritzen, hatte Sheriff Marks gesagt. Ich holte einen Eimer Wasser und eine Scheuerbürste.
In den folgenden Nächten schlief ich überhaupt nicht. Ich horchte die ganze Zeit auf Schritte, auf Geräusche, die mir verrieten, dass ein weiteres Tier auf meiner Veranda abgeschlachtet würde. Die Anspannung brachte mich schier um.
Die menschliche Zivilisation verlor Tag für Tag mehr ihren Reiz. Bei Tageslicht versuchte ich noch nicht einmal, ein paar Seiten meiner Autobiografie herunterzutippen. Den Computer schaltete ich gar nicht erst ein. Stattdessen saà ich auf dem Sofa und starrte aus dem Fenster. Ich könnte nach drauÃen gehen und einfach nie wieder zurückkehren. Es wäre so leicht.
Während einer weiteren schlaflosen Nacht hörte ich etwas. Mit klopfendem Herzen setzte ich mich auf und fragte mich, was gerade geschah und was ich dagegen unternehmen sollte. Doch es waren keine Schritte auf der Veranda. Nichts schrie. Ich hörte das Knirschen von Schotter, ein Fahrzeug, das die Anfahrt zu meiner Hütte hochgerollt kam. Mir schnürte sich die Kehle zu â ich wollte knurren. Jemand war soeben dabei, in mein Revier einzudringen.
Ich stand auf und sah aus dem Fenster.
Ein Jeep raste auf die Lichtung, viel zu schnell, und machte einen kleinen Schlenker, als auf die Bremse gestiegen wurde.
Mit steifen Armen, die Krallen â Finger â gekrümmt, ging ich zur Eingangstür, öffnete sie gerade so weit, dass ich auf der Türschwelle stehen konnte, und starrte wütend nach drauÃen. Sollte der
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