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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Maybach
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gelernt, Etienne zu hassen …
    »Bérénice hat angerufen.« Nur mit größter Mühe brachte sie die Worte über die Lippen, bereits in der Gewissheit, einen Fehler zu machen. Sie hätte nicht kommen dürfen.
    »Und? Was habe ich damit zu tun?«
    »Sie hat eine Anstellung bei Maxime Malraux, und er nannte sie … er nannte sie … Fleur!«
    »Irgendwann wird Bérénice es herausfinden, es war immer nur eine Frage der Zeit. Aber das interessiert mich nicht, nicht mehr. Und das weißt du auch. Also, komm nie wieder hierher! Ich sage dir: nie wieder.« Etiennes Gesicht verzerrte sich, und in Denise stieg die alte peinigende Angst wieder hoch.
    »Ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll.«
    Während Denise den Satz aussprach, spürte sie, dass Etiennes Verbitterung genauso tief saß wie vor Jahren. Beharrlich schwieg er, und beharrlich verweigerte er ihr jede Hilfe. In feindseligem Schweigen sah er sie an, doch in seinem Blick erkannte Denise eine gewisse Bewunderung für ihren Mut, gekommen zu sein. Trotzdem wusste sie, dass er niemals aufhören würde, sie zu verachten. Doch konnte sie vergessen, was er ihr angetan hatte? Auch ihr Hass gegen ihn schien grenzenlos, und auch ihre Haltung blieb unversöhnlich.
    Die Vergangenheit ließ sich nicht auslöschen, die Erinnerung kam zurück, die Schuld blieb ungesühnt. So drehte Denise sich wortlos um und verließ unter dem heiteren Gebimmel der Türglocke die Apotheke.
    Etienne verharrte einen Moment hinter der Theke, dann hastete er ans Schaufenster. Verborgen hinter dem halbhohen weißen Spitzenvorhang, beobachtete er Denise auf ihrem Weg über den Platz. Er ballte die Fäuste in den Taschen seines weißen Kittels und presste die Lippen aufeinander.
    »Denise Déschartes«, murmelte er verächtlich und schnaubte durch die Nase. Eine kleine Schneiderin, die sich Designerin nannte. Denise, die ihn in eine Ehe gezwungen hatte, um in die Gesellschaft von Saint-Emile aufzusteigen und in der Stadt eine Rolle zu spielen. Als Madame Aubry, Frau des Apothekers Etienne Aubry, Sohn aus einer reichen und sehr angesehenen Familie des Orts. Freudlos lachte Etienne in sich hinein und starrte Denise weiterhin nach. Sie hatte sich sein Vertrauen erschlichen, ihm Verständnis vorgeheuchelt, er hatte sich ihr geöffnet, und sie? Sie wollte nur eine gute Partie machen. Kein Mann in Saint-Emile hatte sich für Denise interessiert, und nur er war so dumm gewesen, sich von ihr einfangen zu lassen.
    Im Licht der Straßenlaterne überquerte sie langsam den kleinen Platz. Sie war dick geworden, und sie versuchte, mit der Länge ihres schwarzen Mantels ihr Gebrechen zu verbergen. Warum war sie gekommen? Warum hatte sie seine Ruhe gestört, die Vergangenheit aufgerührt? Mit ihrem schleppenden Gang, mit dem sie das steife Bein nachzog, erinnerte sie ihn an diesen einen furchtbaren Tag. Doch es war noch viel schlimmer gekommen.
    »Ich bin nicht schuldig, nicht schuldig.« Seine Finger krallten sich in seine Handflächen, bis es schmerzte. Nein, es war sie, die den Schaden angerichtet hatte, an ihm und seiner Seele. Einen Schaden, den sie nie mehr gutmachen konnte.
    Etienne kehrte zur Waage zurück. Langsam und ächzend ging er in die Knie, sammelte mit beiden Händen die heruntergefallenen Blüten vom Boden auf und warf sie in den Mülleimer. Mühsam zog er sich am Tisch wieder hoch. Er zögerte, dann holte er aus der Tasche seines Kittels einen kleinen Schlüssel und öffnete die Schublade unter der Theke. Er griff hinein und zog ein altes ausgeschnittenes Zeitungsfoto heraus.
    »Fleur«, murmelte er. Fleur, die Frau, die ihn abgewiesen hatte, sich über ihn lustig gemacht und ihn verachtet hatte. Der alte Mann stöhnte auf. »Fleur«, flüsterte er, »Fleur …« Und seine von Adern durchzogene und mit Altersflecken bedeckte Hand fuhr zart über das Foto.

[home]
    2
    Ende September 2001
Saint-Emile
    D ie heiße Septembersonne blendete Hippolyte, als er aus dem Auto stieg und zu den Weinbergen hinübersah. Kein Schatten, kein leichtes Lüftchen brachte Abkühlung, milderte die sengende Hitze.
    Auf den Hängen kamen die Arbeiter beim Pflücken der Trauben nur schrittweise voran. Sie mussten sich bücken, hockten mit ihren Scheren auf der Erde, standen wieder auf, musterten sorgfältig jede Traube, bevor sie sie in flache Kisten legten.
    Frank, Hippolytes Mitarbeiter, winkte ihm zu und kam von den Rebreihen herüber. Er war erhitzt, strahlte aber Genugtuung aus, als er Hippolyte auf die Schulter

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