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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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aufzutrumpfen. Das sah ihm mal wieder ähnlich! Womöglich würde er nun auch noch recht unflätig den Mund aufreißen. Doch sie hütete ihre Zunge. Zumal der Riese ihren kleinen Bruder, Edgar Æthling, tatsächlich zu erkennen schien.
    »Mein lieber junger Freund!«, rief der Ritter aus, offenbar froh, die Sprache wiedergefunden zu haben und ein wenig von Margaret abgelenkt zu werden, die er nun lieber nicht mehr anschaute. »Mein lieber junger Freund – welch traurige Überraschung, Euch und … Eure Familie so wiederzutreffen! Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, was wohl aus Euch geworden war, seit wir voneinander schieden – doch nun sehe ich, dass Ihr wohlauf seid.« Und sein Blick wanderte wieder zurück zu Margaret, die ihn unverhohlen musterte. »Wohlauf … ähm, wohlauf, mein Freund. Wohl …« Ein leises, spöttisches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
    Edgar zögerte nicht, die entstandene Pause für sich zu nutzen. »Unser Aufbruch aus Yorkshire war ein wenig überhastet, a rìgh . Dem Herrn Cospatric erschien es sicherer, das Land zu verlassen, und er riet auch mir, das Gleiche zu tun, nachdem König Wilhelm sich anschickte, Northumbria von Süd nach Nord dem Erdboden gleichzumachen. Wir konnten seinen Truppen entkommen und Schiffe finden«, berichtete Edgar vertrauensselig. »Der schreckliche Sturm trennte unsere Flotte und warf uns an dieses Gestade …«
    »Die Vorsehung, lieber junger Freund«, strahlte der Ritter und nahm flink seine Augen wieder von Margaret, die sich weder gerührt noch verbeugt hatte. »Seid meine Gäste, lasst Euch pflegen, lasst Euch gesund pflegen, lasst Euch vergessen machen, was Ihr erlebt habt, lasst uns den Sturm und all das andere ungeschehen machen! Seid meine Gäste …«
    »Danke, a rìgh , Ihr seid sehr großzügig«, unterbrach Edgar den Redeschwall. »Vor allem bitte ich für meine frierende Mutter und für meine armen Schwestern dringend um ein Obdach und um Essen.«
    Ein ganzer Trupp Reiter hatte die Gruppe inzwischen umringt. Düstere, wilde Gestalten mit langen Haaren unter zerbeulten Helmen, und ihre plump gebauten, dicklichen Pferde sahen nicht besser aus. Manche Reiter waren abgestiegen; Sand knirschte unter ihren Füßen, als sie den Himmel verdeckten. Bisher war Christina ruhig geblieben, doch nun breitete sich Furcht in ihrem Herzen aus, als fünf gierige Augenpaare über ihren Körper wanderten. An welcher Küste waren sie gelandet? Lothian? Schottland? Waren dies etwa die Pikten, von denen man in London am abendlichen Feuer so schreckliche, grausame Geschichten erzählte? Edgar war im vergangenen Jahr in den Norden gereist, doch hatte er so geheimnisvoll getan, dass sie ihn nie mit Fragen bedrängt hatte. Kannte ihr Bruder etwa Männer vom Stamm der wilden Pikten? Unwillkürlich duckte sie sich wieder über Agatha, die Ave-Maria murmelnd in den Sand starrte, wohl in der Hoffnung, die grausige Heimsuchung möge an ihnen vorüberziehen.
    »Kleidung, Essen, alles, was Ihr wünscht, junger Freund. Eure Schwestern sollen die beste … das allerbeste … am besten … wir … Eure Schwestern … « Der Riese stotterte wieder, nachdem er Margaret angeschaut hatte – offenbar ein Fehler. Edgar stupste Christina mit dem Fuß an. »Los, steh auf, verbeug dich«, raunte er hastig. »Das ist Malcolm, der König von Schottland, der uns helfen will. Mach schon, los! Bevor er es sich anders überlegt.«
    Ein König! Christina sprang erleichtert auf die Füße und tat, wie ihr geheißen. Doch der König von Schottland hatte nur Augen für ihre Schwester, die immer noch regungslos vor ihm stand und den Blick auf ihm ruhen ließ. Ihre Verbeugung vor dem König konnte nicht tief gewesen sein.
    »Ich hoffe, dass wir uns Eurer Barmherzigkeit würdig erweisen«, sagte Margaret. »Ich werde für Eure Seele beten und in meinen Gebeten ganz besondere Inbrunst walten lassen.«
    Des Schottenkönigs Gesicht offenbarte wachsende Verwirrung. Er konnte ja nicht ahnen, dass Margaret von England ihr Leben Gott dem Allmächtigen in einem Kloster weihen wollte und dass nur die äußeren Umstände – die mögliche Thronfolge ihres Bruders Edgar und sein ungeschicktes Verhalten dem normannischen Eroberer gegenüber, wodurch sich die Familie zur Flucht gezwungen sah – sie davon abgehalten hatten, ihr Gelübde abzulegen. Aber eigentlich sah sie sich als Braut Christi, seit Christina denken konnte. Vielleicht spürte ihr Retter auch, dass sie etwas Besonderes war, denn er verneigte

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