Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
sich vor ihr, zog seine Reithandschuhe aus und hob die junge Frau dann ohne Vorwarnung wie ein kostbares Gefäß in seinen Sattel.
»Wenn Ihr … wenn Ihr … mein Pferd, wenn Ihr …«, stotterte er, kratzte sich am Kopf und nahm die Hände mit einiger Verspätung von ihrer Taille. Margaret betrachtete ihn still. Ihr Blick trug jene freundliche Sanftheit, mit der sie alle Lebewesen betrachtete, und doch entdeckte Christina etwas anderes, rätselhaft Neues in ihren Augen. Dann wehte eine Windbö loses Haar vor Margarets Gesicht. Eine Strähne davon umschmeichelte auch ihn, und der König ließ sie los, als hätte er sich verbrannt.
Christina bekam keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, weil ihr jemand von hinten den Arm um die Taille legte. »Ihr erlaubt?« hieß es knapp, danach flog sie durch die Luft und landete auf dem Rücken eines Pferdes. Mit Mühe konnte sie sich an der buschigen Mähne festhalten, um nicht auf der anderen Seite wieder herunterzurutschen. Ihr Ritter hielt sie fest und zupfte gleichzeitig an ihrem Mantel.
»Ihr solltet das schlammige Ding ausziehen. Nehmt meinen Mantel, der ist neu und aus gutem Filz gemacht«, bot er in ordentlichem Angelsächsisch an und legte ihr auch schon das Kleidungsstück über die Schultern.
»Ich behalte ihn gerne, er gehört meinem tapferen Retter«, lächelte Christina. Der Ritter runzelte die Stirn.
»Wer war denn Euer … tapferer Retter?«, fragte er und fasste den Mantel mit spitzen Fingern an. »Dieses Ding hier gehört zweifellos diesem culdee .«
»C uldee? Was ist das?«
Er grinste anzüglich. »Ein Betbruder.« Auf ihren entsetzten Gesichtsausdruck hin bequemte er sich zu weiteren Erklärungen. » Culdees sind Mönche. Sie kamen einst vor vielen Jahren aus Irland herüber und leben nun hier in Schottland. Sie wollen nicht im Kloster leben, wie ordentliche Mönche das tun. Sie wollen keine Gelübde ablegen und rasieren sich die Stirn, was kein normaler Mönch tut.« Er redete sich in einen seltsamen Ärger hinein. »Man findet sie in Erdhöhlen, müsst Ihr wissen. Und manche von ihnen leben sogar mit Weibern zusammen. Sie essen Käfer und Wurzeln. Die culdees kommen von den …«, er spuckte aus, um seinen Abscheu zu betonen, »… von den Iren und nicht von Gott. Und ganz gewiss sind sie nicht tapfer.« Wie zur Bekräftigung zog er sein Schwert am Gürtel gerade.
»Aber dieser hat mich gerettet«, gab Christina zu bedenken. »Niemand sonst war hier …«
»Dieser hier«, zischte der Ritter, »dieser hier ist immer hier, hlæfdige , hier an diesem verdammten Fluss, obwohl er ein Hochlandschotte ist, von denen keiner freiwillig hierherziehen würde.« Vermutlich war der Mann selbst aus dem Hochland, wo auch immer das sein mochte. Er rollte seine Zunge so stark, dass sie das Hochland allein deshalb schon furchterregend fand.
Und er war noch lange nicht fertig. »Dieser hier lebt irgendwo in einer verdammten, verlausten Höhle und macht den Armenprediger für einen Haufen Weiber – das behauptet er jedenfalls. Der König mag solche Männer nicht. Und diesen hier mag er erst recht nicht, weil dessen Bruder nämlich ein Schwert trägt und wie ein Mann für seinen König kämpft – im Gegensatz zu diesem hier, der sich lieber hinter Weiberröcken verkriecht, nachdem er in Ungnade gefallen ist. Wisst Ihr nun genug, hlæfdige ?«
Christina verspürte kein Verlangen, mit dem Mann über Menschen zu reden, die Gott in Seine Dienste geholt hatte. Die Verachtung, die dem culdee hier entgegenschlug, war ihr vollkommen unverständlich. Dennoch bewahrte sie alles, was sie über ihn gehört hatte, in ihrem Gedächtnis. Er kam aus dem Hochland und hatte einen Bruder, der für den König das Schwert trug. Sie ließ ihren Blick über den Strand gleiten, vorbei an hilflosen Menschen, die Tote bargen und versuchten, brauchbare Habseligkeiten aus den Trümmern zu ziehen. Und ganz hinten, wo Sträucher das Ufer begrenzten und die Bucht mitleidig umfingen, stand immer noch Nial, der culdee , farblich fast mit dem Boden verschmolzen und regungslos. Er war ihr mit seinen Blicken gefolgt.
Manche von ihnen leben sogar mit Weibern zusammen …
Mönch oder nicht – seine Arme waren die eines Mannes gewesen, und sein Kuss … Christina biss sich auf die Lippen. Die despektierlichen Worte des Ritters waren vergessen. Nur der Kuss war noch da. Sie würde diesen Kuss beichten müssen, schließlich hatte sie damit angefangen. Ja, das hatte sie. Aber waren ihre Lippen nicht
Weitere Kostenlose Bücher