Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
auch einfach nur zufällig …? Dann hob sie die Hand und winkte. Und ihr Herz klopfte ziemlich heftig, als der culdee den Arm hochriss und zurückwinkte.
Es war ein äußerst merkwürdiger Zug, der sich da im Schritttempo am Ufer entlangschlängelte und auf die Umfriedung von Edinburgh zuritt. Statt wie sonst im alles niederwalzenden Galopp wurden die kleinen Pferde zu Fuß nach Hause geführt, weil auf ihrem Rücken eine kostbare Last Platz genommen hatte. Auch Katalin, der treuen, alten Amme, hatte man in einen Sattel geholfen, wo sie nun hockte und vor sich hin schimpfte, weil sie das Reiten hasste, seit sie vom Pferd gefallen war. Doch eine Sänfte, wie es für Reisende in England üblich war, gab es hier nicht. Agatha ertrug es klaglos, die Amme tat ihre Unzufriedenheit kund. »Barbaren«, brummte sie und klammerte sich an der gewaltigen Mähne ihres Pferdes fest. »Barbaren, Gott möge sie strafen, alles Barbaren …«
»Sitzt Ihr … sitzt Ihr … ich meine …« Malcolm schritt neben Christinas Pferd und führte sein eigenes am Zügel, während er ein wenig hilflos versuchte, mit Margaret, die in seinem Sattel Platz genommen hatte, ein Gespräch zu führen.
»Auf dem Schiff ist es weitaus unbequemer gewesen, a rìgh «, lächelte sie ihn freundlich an. Christina bewunderte die vornehme Haltung ihrer Schwester. Auf dem Schiff war es furchtbar gewesen. Schmutzig, eng, laut – vor allem schmutzig. Auch vorher war es furchtbar gewesen – seit über einem Jahr eigentlich. Seit sie den königlichen Hof in London verlassen hatten, weil ihr Bruder Edgar entschieden hatte, sich gegen seinen Gönner zu stellen, Wilhelm von der Normandie, den neuen König von England, und mit diesen beiden gut aussehenden Northumbriern, den Earls von Mercia, Edwin und Morcar, gemeinsame Sache zu machen. Und alles immer noch in der Hoffnung, dass ihm das eines Tages die englische Krone einbringen könnte, von der er zutiefst überzeugt war, dass sie ihm durch seine Geburt zustand. Immerhin hatte der englische Kronrat sie ihm aufsetzen wollen, nachdem König Harold vor zwei Jahren in der Schlacht von Hastings gefallen war. Sie war zum Greifen nahe gewesen – doch dann war der Sieger von Hastings, Wilhelm von der Normandie, nach London gekommen und hatte sie sich einfach genommen. Bei seiner Krönung im Dezember des Jahres 1066 sprach niemand mehr von einem König Edgar Æthling. Der neue König hatte die Æthling-Geschwister, Edgar, sie und Margaret, wie hochgeborene Mündel behandelt. Alles hätte friedlich bleiben können, wenn Edgar nicht seiner verlorenen Krone hinterhergetrauert hätte. Eigentlich war bereits damals ihr sicheres Leben zu Ende gewesen.
»Ihr werdet … Ihr werdet in Edinburgh … alles soll … Ihr …« Der König stammelte schon wieder. Sie legte ihm die Hand auf den Arm.
»Ein Mantel wäre jetzt hilfreich gegen den Wind, a rìgh .« Und errötend riss er sich den gewebten Schal von den Schultern und hüllte sie darin ein wie einen kostbaren Schatz, der vor den Blicken der anderen geschützt werden musste.
Edgar ritt von der anderen Seite neben Christinas Pferd.
»Hast du gesehen, wie er sie angeschaut hat?«, flüsterte er aufgeregt und auf Ungarisch, was er nur ganz selten tat, weil er viele Worte vergessen hatte. »Glaubst du, er gefällt ihr, Stina?«
Erstaunt sah sie ihren Bruder an. »Er ist ein alter Mann, Edgar. Würde dir ein altes Weib gefallen?«, grinste sie.
Doch Edgar starrte die beiden nur an. Er nahm den Zügel in eine Hand und strich sich langsam über den spärlichen schwarzen Bart, der dringend gestutzt gehörte. Christina fand, dass diese Bewegung irgendwie befriedigt wirkte, und fragte sich, welche Pläne ihr kleiner Bruder mit dem großen Kämpferherz wohl wieder ausheckte.
»Was sprecht Ihr da für eine Zunge, hlæfdige ?«, fragte ihr Ritter von der linken Seite. »Ihr seid wohl doch keine Angelsachsen?« Neugierig musterte er sie, als glaubte er, einen zweiten Kopf auf ihren Schultern entdecken zu können. Christina unterdrückte ein Lachen. Hier auf dem Pferd, in warme Mäntel gehüllt, mit der Aussicht auf warmes Essen und ein warmes Bett, ging es ihr gut genug, um sie heiter zu stimmen. Die Mutter bescheinigte ihr für diese Genügsamkeit ein einfaches Gemüt, und manchmal klang das verächtlich.
»Wir sind Angelsachsen, hlæfweard «, sagte sie stolz. »Aber wir sind in Ungarn geboren. Unser Vater war ein angelsächsischer Prinz. Aber wir haben in Ungarn gelebt.«
Und
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